Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
Vom Netzwerk:
rührte sich nicht.
    »Bist du etwa schon wieder die Treppe hinuntergefallen?«, fragte er in hartem, anklagendem Ton, eine Stimme, die Justine noch nie zuvor an ihm gehört hatte. Ariadne antwortete nicht. Sie senkte den Kopf und blickte schuldbewusst drein.
    Justine kam hinter dem Tresen hervor. Ein schwelender Zorn stieg in ihr auf. Sie nahm Ariadnes Hände und hielt sie fest.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie.
    »Er schlägt sie, es ist ihr Mann, er misshandelt sie ein ums andere Mal, und sie unternimmt nichts dagegen.«
    Justine wandte sich Hans Peter zu.
    »Aber Liebling, was soll sie denn auch tun?«
    »Ihn verlassen.«
    »Hans Peter«, mahnte sie flehend. Er drückte den Türgriff herunter und kontrollierte erneut, dass abgeschlossen war. Ging dann in den Frühstücksraum und sank an einem der Tische auf einen Stuhl. Ohne ein Wort begann er, das benutzte Geschirr abzuräumen. Justine zog Ariadne mit einem festen Griff um ihre fleischigen, kalten Hände mit sich und ging ihm nach. Ariadne bewegte sich mühsam, man merkte, dass sie Schmerzen hatte.
    »Es tut mir leid, wenn ich grob war«, entschuldigte sich Hans Peter.
    »Ist schon okay …«
    »Ich bin nur so wütend«, fuhr er fort. »Wenn du wenigstens aufhören könntest, ihn zu schützen und dir solche Sachen auszudenken, wie, dass du die Treppe runtergefallen bist. Habt ihr überhaupt Treppen zu Hause? Das ist so dermaßen fadenscheinig. Kein Mann, der sich so aufführt, ist es wert, geschützt zu werden.«
    Justine schob Ariadne einen Stuhl hin.
    »Ist das wahr?«, fragte sie vorsichtig.
    Ariadne nickte fast unmerklich.
    »Er schlägt dich also?«
    »Mm.«
    »Schon länger?«
    »Mm.«
    »Mehrere Jahre?«
    »Ja.«
    »Hast du jemals versucht, ihn anzuzeigen?«
    »Ihr Mann ist Polizist, Justine. Das Schwein, mit dem sie verheiratet ist, ist Polizist.«
    Sie schwiegen eine Zeit lang. Justine hielt nach wie vor Ariadnes Hände, sie hatte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl gesetzt, sozusagen Knie an Knie. Sie richtete ihren Blick hinauf zur Decke. Der Lampenschirm war schmutzig, sie sah ein totes, vertrocknetes Insekt rücklings im Glas liegen.
    »Kannst du mit jemandem darüber sprechen?«
    Ariadne schüttelte stumm den Kopf.
    »Mit keinem also?«
    »Er … er würde … mich umbringen.«
    »Wir fahren mit ihr in die Notaufnahme«, schlug Hans Peter vor. »Dort wird man ihre Verletzungen dokumentieren. Das machen wir, kommt, wir fahren sofort.«
    Ariadne gab einen spitzen Schrei von sich.
    »Nein, Hans Peter, nicht!«
    »Ich kenne dich jetzt schon so lange, seit Jahren arbeiten wir zusammen in diesem Hotel. Und ich halte es einfach nicht mehr aus, dich so zu sehen. Ich erachte es als meine Pflicht, dir als Mitmensch zu helfen, verstehst du das denn nicht!«
    »Nein«, stöhnte Ariadne. »Du bist so nett zu mir … aber frag nicht mehr. Lass mich in Ruhe, ich muss putzen jetzt, hab viel zu tun.«
    Justine ließ ihre Hände los.
    »Hör zu«, begann sie. »Eins kann ich dir versprechen. Wir stehen voll und ganz hinter dir. Wir sind deine Freunde, Hans Peter und ich. Möchtest du nicht zu uns nach Hässelby ziehen, bis die Scheidung durch ist? Wir haben genügend Platz … und hast du nicht auch eine Tochter? Nimm sie mit und zieh zu uns. Ich garantiere dir, da kann er euch nichts antun.«
    Die Frau schniefte und fuhr sich mit der einen Hand unter der Nase entlang.
    »Du verstehst das nicht«, sagte sie undeutlich. »Aber dennoch vielen, vielen Dank.«

DAS HAUS SAH GENAUSO AUS WIE VORHER. Keiner war dort gewesen, während Tor verreist war. Das hatte er auch nicht erwartet. Er besaß nichts, das spezieller Pflege bedurfte, weder Topfpflanzen noch Haustiere, und der Briefkasten war groß genug, um die Zeitungen und die Post von mehr als einer Woche aufzunehmen. Und dennoch ertappte er sich dabei, wie er umherlief und nach Spuren suchte. Nicht von Berit, das natürlich nicht. Aber von Jörgen oder Jens. Ein eilig hingekritzelter Gruß auf einem Zettel: Hallo, Papa, willkommen zu Hause, wir waren kurz hier und haben ein wenig nach dem Rechten geschaut, mach ’s gut, wir telefonieren. Die Jungs besaßen beide weiterhin ihre Schlüssel aus der Zeit, als sie noch zu Hause gewohnt hatten. Aber warum sollten sie ausgerechnet ein leeres Haus besuchen? Wenn sie noch nicht einmal kamen, wenn ihr Vater zu Hause war.
    Er goss sich einen Whisky ein und setzte sich an den Küchentisch. Der Karton mit den Fotos stand genauso da, wie er ihn verlassen hatte. Am Abend vor der

Weitere Kostenlose Bücher