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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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schützen und zu behüten. Denn sie waren seit langem tot.
     
    Sein Körper fühlte sich vor Müdigkeit ganz schwer an. Gleichzeitig war er hellwach und aufgedreht. Norwegischer Jetlag, dachte er und grinste sarkastisch. Er goss sich noch einen Whisky ein. Eigentlich hatte er hungrig sein müssen, verspürte aber nichts dergleichen. Blätterte ein wenig in den Fotos. Nachdem Berit verschwunden war, hatte er eine Zeit lang alle Bilder, die jemals von ihr gemacht worden waren, zusammengesucht und in einen Karton gelegt. Es hatte damit begonnen, dass die Polizei einige aktuelle Fotos von ihr haben wollte. Doch es existierten hauptsächlich ältere.
    Bei einem Teil der Bilder befanden sich auf der Rückseite noch eingetrocknete Reste Kleber. Er hatte sie aus dem Album herausgelöst. Alle Bilder, auf denen sie zu sehen war. Warum? War es krankhaft? Nein, er wollte sie bei sich behalten, natürlich. Deckel drauf, jetzt bleibst du hier!
    Er saß da und wurde etwas wehmütig.
    Saß da und führte Selbstgespräche.
    Nein. Er sprach mit ihr. Oder zu ihr, denn er bekam wie gewöhnlich keine Antwort. Sie lächelte nur matt von den Fotos, schaute an ihm vorbei oder direkt durch ihn hindurch. Auf den ältesten Abzügen waren die Farben nahezu verblasst. Sie sah wässrig und desillusioniert aus.
    »Und die Reise!«, platzte es aus ihm heraus. »Als du 45 wurdest und wir um die Welt gereist sind, das hattest du nicht erwartet. Das war doch eine Überraschung, komm jetzt nicht und behaupte etwas anderes!«
    Ja. Das war etwas Besonderes gewesen. Zumindest anfangs. Allerdings war er im Flugzeug nach Sydney plötzlich krank geworden. Keiner wusste, was es war, er selbst hatte befürchtet, es könne sich um Malaria handeln. Doch das war es nicht, er war vielmehr von einem unbekannten Virus befallen, der Schüttelfrost und hohes Fieber auslöste. Und das über eine Woche lang. Danach hatte er nicht mehr besonders viel Energie aufbringen können.
    »Verdammt noch mal, Berit, war das etwa mein Fehler?«
    Nein. Er besaß nicht den richtigen Zugang, nicht mehr die Annäherungskraft, die heraufzubeschwören ihm früher manchmal gelungen war. In solchen Momenten war sie plötzlich körperlich anwesend, saß in ihrem schwarzen Kostüm im Schneidersitz da, mit glänzenden Nylonstrümpfen, attraktiv. Sie konnte einfach nur dasitzen und ihn anklagen.
    »Du hast mich dazu gebracht, billig zu wirken, Tor. Du hast mich auflaufen lassen. Das werde ich dir nie verzeihen.«
    Ja, er erinnerte sich. Eine andere Art von Verrat. Ihre kläglichen Versuche, ihn zu verführen. Kläglich deswegen, weil er in diesen Situationen gerade nicht aufgelegt gewesen war für Sex. Wenn ein Mann keine Lust empfindet, weil er müde und unmotiviert ist. Oder überarbeitet, mitten während des stressigsten Buchungsabschlusses. Kann man in so einer Situation von Schuld und Fehlern sprechen?
    Er hielt ein Foto von ihr hoch und betrachtete sie. Es war das Bild, auf dem sie, fertig herausgeputzt, gerade zur Arbeit gehen wollte, in einem ausgeschnittenen blauen Kleid, ihr letzter gemeinsamer Sommer. Ihre Arme waren braungebrannt und weich, sie wurde schnell braun. Der Mund halb geöffnet, sodass er den Zwischenraum zwischen ihren Schneidezähnen erkennen konnte, der sie so oft gestört hatte, eigentlich schon immer, denn kein Schulzahnarzt der Welt hatte etwas dagegen tun können, obwohl sie es mit Zahnspangen und allem Möglichen versucht hatten.
    Er musste sich noch Whisky nachgießen, um müde zu werden. Doch sein Gehirn konnte nicht abschalten. Das erste Licht der Dämmerung ließ die Bäume draußen wie schwarze Kulissen erscheinen. Ein einsames Vogelpiepen drang durch das offene Fenster, bald würden sie sich wohl auf den Weg machen, sich in großen Scharen sammeln und nach Süden ziehen.
    Jill.
    Und plötzlich ergriff ihn eine andere Art Sehnsucht.
     
    Es gelang ihm nicht, vor dem späten Nachmittag einzuschlafen. Er hatte den Karton mit den Fotos mit ins Wohnzimmer genommen und sich aufs Sofa gelegt. Er schlief mehrere Stunden und wachte von seinem eigenen Schreien auf. Ein Albtraum. Berit im Wasser hangend, mit den Gliedmaßen nach unten, wie ein unförmiges Tier. Er selbst stand am Strand, erfüllt von der Gewissheit, dass ein Körper im Wasser, so, wie er ihn vor sich sah, keinen Grund zu irgendwelcher Hoffnung mehr zuließ. Und dennoch wollte er sich hineinstürzen und sie retten, ihre Kleider ergreifen, sie herausziehen. Doch seine Füße blieben im Sand stecken,

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