Der Schatten im Wasser
Müll, auf der Fensterbank und auf den Nachttischen. Wenn die Leute doch nur den Papierkorb benutzen würden, was für eine Erleichterung das für sie wäre. Sie beförderte alles in den Müllsack und griff nach den sauberen Laken.
Wie immer hatte sie sich nach Trinkgeld umgeschaut, das oft in Scheinen auf dem Schreibtisch unter der Fernbedienung hinterlassen wurde. Doch vergebens. Sie betrachtete es eigentlich immer als willkommenen Zuschuss zu ihrem Gehalt. Einmal hatte sie Hans Peter diesbezüglich gefragt.
»Wie handhabt man das, sollen wir es teilen?«
»Ach, Unsinn«, hatte er geantwortet. »Behalt du es nur, denn du machst ja hier die Drecksarbeit.«
Hans Peter und seine Frau. Justine. Ein ungewöhnlicher Name, bestimmt nicht schwedisch. Aber sie sah schwedisch aus. blondes, leicht gelocktes halblanges Haar. Grün schimmernde Augen. Irgendetwas war mit ihrem Blick. Als wären Lichtstrahlen voller Kraft von ihren Pupillen ausgegangen und hätten Ariadne direkt getroffen.
Hier, du kannst teilhaben an meiner Kraft. Finde dich nicht damit ab, wehr dich!
Diese Kraft. Sie hatte es nicht geschafft, sie in sich aufzunehmen, stattdessen hatte sie sich wieder verflüchtigt, war in winzige Partikel zerfallen.
Sie griff nach der Toilettenbürste und schrubbte mit kräftigen Bewegungen. Das Wasser spritzte bis zu ihren Armen hoch.
Du hast nichts Besseres verdient, bist anderer Leute Scheiße.
Sie atmete tief durch und ließ die Schultern herabsinken. Es schmerzte im Brustkorb und in der Lunge. Sie nahm das benutzte Badetuch und wischte den Spiegel damit ab. Sprühte Glasreiniger auf die Fläche und wischte erneut. Sah, wie sich ihr entstelltes Gesicht langsam abzeichnete.
So sehe ich aus, und ich habe nichts Besseres verdient.
Sie betätigte die Spülung und setzte eine neue Rolle Toilettenpapier ein. Faltete das letzte Blatt zu einem Dreieck, leicht zu handhaben für den nächsten Gast. Sie ging zurück ins Zimmer. Endlich fertig mit dem ersten! Sie streckte sich nach der Fernbedienung, um das Radio abzustellen, als der Moderator gerade die nächste Frage vorlas:
»Wie hieß die Göttin, die Tochter von Okeanos und Nyx war und die wir für gewöhnlich mit Rache verknüpfen?«
Sie hörte ihre eigene Stimme und erschrak darüber, wie deutlich sie klang.
»Nemesis«, sagte die Stimme. »Nemesis!«
MITTE SEPTEMBER zogen Henry und Märta zurück in die Stadt. Micke half ihnen, er packte seinen Chevy mit ihren Habseligkeiten voll und fuhr mehrere Male hin und her. Sie waren wie immer auf eine demütige Weise dankbar.
»Du weißt, wie froh wir sind, dass jemand im Winter nach der Hütte sieht«, sagte Henry, während er das Scharnier eines Fensterladens zu verankern versuchte. »Was für ein Glück wir hatten, dich zu treffen.«
»Ist schon okay«, murmelte Micke. Ihm war es jedes Mal peinlich, wenn sie ihn mit ihrer Dankbarkeit überschütteten. Er hatte sich angeboten, Laub zu harken, sicher würde es bald Zeit dafür sein, denn es schien, als hätte der regnerische Herbst endgültig begonnen.
Die alten Eheleute waren traurig und verstimmt darüber, dass wieder ein Sommer zu Ende ging, vielleicht sogar ihr letzter im Kleingarten. So dachten sie jedes Jahr. Sie waren alt und gebrechlich, wer wusste schon, wie der Winter ihnen zusetzen würde? Auch der Kater schien es nicht zu mögen, in die Wohnung zurück zu müssen. Er hatte gespürt, dass es Zeit wurde, und sich den gesamten Vormittag nicht blicken lassen, sodass Märta nahezu hysterisch wurde, als sie die letzten Kartons im Nieselregen heraustrugen.
»Lieber Micke, ich verstehe sehr gut, dass wir dich nicht unbegrenzt aufhalten können, aber Räven …«
Er stand mit dem Autoschlüssel in der Hand da, er hatte den Wagen vom Hemslöjdsväg aus ein Stück weit rückwärts den grasbewachsenen Abhang hinunterbugsiert. Der Kofferraum war voll mit Plastiktüten und Bananenkartons, ebenso die Hälfte der Rückbank. Auf der anderen Hälfte sollte Märta mit dem Kater sitzen.
»Es gibt noch eine Möglichkeit«, fiel Henry ein. Er überredete Micke, einen Abstecher zum ICA im Abrahamsväg zu machen und eine Büchse mit Sardinen in Tomatensauce zu kaufen. Das war nämlich die Lieblingsspeise des Katers.
Der Trick funktionierte. Henry hatte den Deckel der Büchse noch nicht ganz abgezogen und sie auf den Treppenabsatz gestellt, da tauchte der Kater auch schon auf. Woher er kam, war nicht festzustellen, vermutlich hatte er sich irgendwo versteckt und sie
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