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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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beobachtet. Sozusagen nur darauf gewartet, dass sie abfahren würden. Und wie wollte er zurechtkommen? Dumme, einfältige Tiere. Mit seinem schräg gehaltenen, dreieckigen Kopf machte er sich schmatzend über die Sardinen her, sodass es bedrohlich knackte und knirschte. Sobald er fertig gefressen hatte, hob Henry ihn hoch und setzte ihn auf Märtas Schoß, die sich bereits auf die Rückbank gezwängt hatte. In der Hand hielt sie einen Strauß Ringelblumen, die letzten dieses Herbstes. Außer ihnen blühte nur noch die Große Fetthenne, Märta hatte Micke mit hinauf zum Beet hinter der Hütte genommen und sie ihm gezeigt.
    »Du kannst sie gerne pflücken, wenn du magst. Sind sie nicht schön? Vielleicht hast du eine kleine Freundin, der du eine Freude machen möchtest? Oder deine Mutter? Würde sie sich nicht freuen? Grüß sie von Henry und Märta.«
    In ihrer düsteren Stadtwohnung war die Luft abgestanden. Die Möbel fand er abstoßend. Sie erinnerten ihn an irgendetwas aus seiner frühen Kindheit, er wusste nicht, was. Es war eine Mietwohnung, und der Vermieter schien kein besonderes Interesse an ihrem Erhalt zu hegen. Micke benutzte die Toilette, deren Spülung nicht funktionierte, man musste stattdessen Wasser aus einem Eimer nachgießen. Er tauchte kurz seine Hände ins Wasser und trocknete sie an einem vor Dreck steifen Handtuch ab, das wohl die letzten hundert Jahre nicht gewechselt worden war.
    »Kommt ihr so weit allein zurecht?«
    »Ja, hab ganz herzlichen Dank.« Henry griff nach seinem Portemonnaie. Er ließ nicht locker, bis er zumindest das Benzin bezahlen durfte. Und die Betriebskosten. Denn es kostete eine Menge, ein Auto zu unterhalten.
    »Komm doch mal vorbei und besuch uns«, lud ihn Märta ein und umarmte ihn unbeholfen.
    »Vielleicht schaffen wir es ja auch mal an einem sonnigen Tag zur Hütte herunter«, setzte Henry hinzu. »Es kommt nämlich vor, dass man sich geradezu danach sehnt, ein bisschen im Garten herumzupusseln. Aber keine Sorge, dann bestellen wir den Fahrdienst.«
    Der Kater strich ihm ums Bein herum und miaute.
    »Aber du, Räven, musst dann leider zu Hause bleiben«, gluckste Märta.
    Er fragte sich, wie sie vorher wohl zurechtgekommen waren, bevor sie ihn kennen lernten.
    »Na dann, macht’s gut«, sagte er, und als er nach draußen kam, sah er sie am Fenster stehen. Sie winkten. Sie hielten Räven hoch und ließen ihn ebenfalls mit der einen Pfote winken.
     
    Er machte es sich zur Gewohnheit, jeden Tag zur Hütte zu gehen. Harkte Laub, arbeitete im Garten und legte sogar eine Art Komposthaufen an, auf den er die vermodernden Blätter befördern konnte. Manchmal begegnete er Nachbarn, grüßte aber nur kurz. Er wollte nicht zu viel mit ihnen zu tun haben. Die Nachbarin zur Linken jedoch bestand darauf, ihm die Hand zu geben und sich vorzustellen. Sie war alt, aber längst nicht so alt wie Henry und Märta.
    »Ich heiße Inez Molin. Und Sie?«
    »Michael«, antwortete er knapp und stellte fest, dass er seinen Namen englisch aussprach.
    »Mikel?«, wiederholte sie.
    »Ja.«
    »Sind Sie in irgendeiner Weise mit Henry und Märta verwandt?« Ihr Gesicht näherte sich dem seinem, als wollte sie ihn unter die Lupe nehmen. Es sah aus, als lägen ihre Augen lose in ihren Höhlen, tränend und rot gerändert. Ihre fleckige Schirmmütze hatte sie fest über den Kopf gezogen.
    »Der Sohn einer Cousine«, entfuhr es ihm.
    »Ja, sie haben ja keine eigenen Kinder bekommen, wie es scheint.«
    Die Alte ließ nicht locker.
    »Nein«, antwortete er und ergriff demonstrativ seine Harke.
    Zum Glück kam sie immer seltener. Es wurde immer herbstlicher, regnete viel. In der Hütte war es feuchtkalt, aber unter einem der Betten fand er einen uralten Elektroheizofen, ein grünes Gerät mit gewundenen Heizschlangen. Es knisterte, als er den Stecker hineinsteckte, und es roch nach verbranntem Staub. Doch wenn er nur lange genug davorsaß, wurde ihm richtig warm.
    Manchmal nahm er das Gewehr von der Wand und befühlte es. Es wog mehr, als er gedacht hatte. Der Lauf fühlte sich eiskalt an. Er legte es an die Schulter und tat so, als drücke er ab.
    Er hatte sich Papier und Stift mitgebracht und genoss es, dazusitzen und zu zeichnen. Nichts, was er vorzeigen würde, absolut nicht. Aber die Zeichnungen erregten ihn in gewisser Weise, sodass sie wohl doch nicht völlig wertlos waren.
    Er zeichnete Frauen, nackte Frauen, gefesselte. Die Beine himmelwärts und auseinander gespreizt, in Ketten gelegt. Er

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