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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Einerseits ärgerte es Sarah, dass Hayden und Fox hinter ihrem Rücken über sie sprachen, andererseits machte es ihr seltsamerweise nichts aus, mit Kamal darüber zu reden.
    »Dann ist es in Wahrheit nicht das Buch von Thot, nach dem Sie suchen«, stellte Kamal fest, und es klang fast erleichtert. »In Wahrheit suchen Sie das, was alle sterblichen Wesen suchen: Erlösung.«
    Sarah dachte einen Augenblick nach. »Vielleicht«, stimmte sie dann zu.
    »So hat die Gier nach Thots Geheimnis noch nicht von Ihnen Besitz ergriffen, und es ist noch nicht zu spät, die Suche abzubrechen.«
    »Ich werde die Suche nicht abbrechen, Kamal«, stellte Sarah klar. »Ich habe es einmal gesagt, und ich sage es wieder: Das Buch des Thot muss gefunden werden, ehe es der Gegenseite gelingt. Das ist unser Auftrag, und wir werden ihn erfüllen.«
    »Aber begreifen Sie denn nicht, dass das zur Katastrophe führt? Dass diese Expedition zum Scheitern verurteilt ist?«
    »Woher willst du das wissen?«, erkundigte sich Sarah misstrauisch. Versuchte Kamal, ihr zu drohen?
    »Man braucht kein Hellseher zu sein wie effendi du Gard, um es zu erkennen«, antwortete Kamal. »Unter den Kameltreibern machen Gerüchte die Runde. Es heißt, Sie wären im Begriff, den Zorn der alten Gottheiten heraufzubeschwören. Andere behaupten, ein Fluch würde über der Unternehmung liegen und wir alle würden am Ende sterben.«
    »Tatsächlich?«, fragte Sarah lauernd. »Und wer redet den Leuten so etwas ein?«
    »Die Söhne der Wüste sind abergläubisch, Mylady«, erwiderte Kamal, den versteckten Vorwurf überhörend. »Es bedarf keiner fremden Stimme, um ihnen Furcht einzujagen, denn diese Furcht sichert seit Tausenden von Jahren ihr Überleben. Hören Sie auf die Männer und kehren Sie um, solange noch Zeit dazu ist.«
    »Das kann ich nicht, Kamal.«
    »Aber…«
    »Ende der Diskussion!«, befahl Sarah energisch, und der Führer versuchte nicht noch einmal, sie umzustimmen.
    Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und starrten in die Flammen des langsam verlöschenden Feuers. Noch eine halbe Stunde, dann würde auch in diesem Teil der Erde das neue Jahr beginnen…
    In einem jähen Entschluss stand Kamal auf und wollte sich ebenfalls schlafen legen, aber Sarah hielt ihn zurück.
    »Nein«, sagte sie. »Bitte bleib.«
    »Wozu, Mylady?«
    »Um mir Gesellschaft zu leisten. Die Menschen in meiner Heimat pflegen den Ausklang des Jahres in der Gesellschaft von Vertrauten und Freunden zu verbringen – vielleicht nur deshalb, weil sie Angst davor haben, zu sehr über sich und das Leben ins Grübeln zu geraten.«
    »Sind wir denn Freunde, Mylady?«
    »Ich würde es mir jedenfalls wünschen«, erwiderte Sarah, und es klang so aufrichtig und ehrlich, dass Kamal sich wieder setzte. Gerade so, als könne er die Einsamkeit spüren, die Sarah in ihrem Innersten quälte.
    »Wollen wir die Zeit zu einem Spiel nutzen, Mylady?«, fragte er förmlich.
    »Was für ein Spiel?«
    »Die Tuareg pflegen sich in den Oasen die Zeit damit zu vertreiben. Es nennt sich ›Flamme der Wahrheit‹.«
    »Wie geht es?«
    »Zwei Reisende, die sich am Lagerfeuer treffen, offenbaren einander ein Geheimnis«, erklärte Kamal. »Jeder von beiden gibt etwas von sich preis. Kurz darauf trennen sich ihre Wege. In den meisten Fällen sehen sie einander niemals wieder, aber jeder von ihnen bewahrt das Geheimnis des anderen in seinem Herzen. Und schon mancher, der einem Wüstenbruder ein Geheimnis anvertraute, soll in den darauf folgenden Nächten ruhiger geschlafen haben.«
    »Ich verstehe.« Sarah lächelte verhalten. Sie war nicht sicher, ob sie dieses Spiel tatsächlich ausprobieren wollte. »Willst du mir ein Geheimnis anvertrauen, Kamal?«, hörte sie sich dennoch fragen.
    »Nur wenn auch Sie mir ein Geheimnis anvertrauen wollen, Lady Kincaid«, erwiderte Kamal. »Sind Sie dazu bereit?«
    »Ich denke, ja«, erwiderte Sarah vorsichtig in dem vollen Bewusstsein, dass sie sich auf ungewohntes Terrain begab. Sich einem Fremden anzuvertrauen war ganz und gar nicht britisch – und es war sicherlich nicht das, was auf Schulen für höhere Töchter gelehrt wurde…
    »Dann will ich den Anfang machen«, erklärte Kamal. »Wussten Sie, dass meine Mutter Engländerin gewesen ist? Dass ich einen Teil meines Lebens dort verbracht habe?«
    »Nein, das wusste ich nicht«, entgegnete Sarah, »aber es erklärt jedenfalls, weshalb du unsere Sprache so gut beherrschst. Warum hast du das nicht schon früher

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