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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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nicht bis Mitternacht bleiben und den Beginn des neuen Jahres abwarten?«, fragte Sarah.
    »Nein, mein Kind.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe schon viele Jahresanfänge erlebt, und jedes Mal fühlte ich mich dabei ein wenig leerer und älter. Aber ich wünsche Ihnen dennoch ein glückliches neues Jahr, Sarah.«
    »Danke, Sir Jeffrey. Das wünsche ich Ihnen auch.«
    Der königliche Berater verabschiedete sich und zog sich in das Zelt zurück, das er sich mit Milton Fox teilte. Ein lautes Schnarchen war die Quittung, als er die Zeltplane zurückschlug, sodass Sarah unwillkürlich lachen musste. Kaum war Hull jedoch in seinem Zelt, verschwand die Heiterkeit von ihren Zügen.
    Die Wirklichkeit holte Sarah ein, all die offenen Fragen, die sie beschäftigten. Die Melancholie des späten Jahres befiel sie, und sie musste an ihren Vater und sein letztes Abenteuer denken, an dem sie wider Willen teilgenommen hatte.
    »Vater«, flüsterte sie leise, den Blick zum klaren Sternenhimmel gewandt. »Warum nur hast du mich alleingelassen? Ich könnte deinen Rat jetzt gut gebrauchen, weißt du? Und wenn du dort oben Maurice begegnest, dann sag ihm, dass ich ihn vermisse…«
    Die Stimme versagte ihr, und sie wischte die Tränen ab, die ihr unversehens in die Augen getreten waren.
    Es war still geworden im Lager, nur von der Kamelkoppel drangen leise Stimmen herüber, wo die Treiber die wundgescheuerten Rücken ihrer Tiere mit glühenden Eisen bearbeiteten. Gedankenverloren starrte Sarah in die Flammen, als sie im Sand hinter sich leise Schritte vernahm. Aufgeschreckt fuhr sie herum und griff nach dem Waffengurt, den sie über die Lehne des Klappstuhls gehängt hatte. Aber es war nur Kamal, der in den Lichtkreis des Feuers trat.
    »Alles in Ordnung, Mylady?«, erkundigte er sich.
    »Ja, Kamal. Alles in Ordnung.«
    »Sie sehen traurig aus«, beharrte der Ägypter. »Sie haben geweint, nicht wahr?«
    »Nur ein wenig.«
    »Die Söhne und Töchter der Wüste weinen selten. Sie betrachten es als Verschwendung, da Wasser zum Überleben so dringend benötigt wird. Wenn sie jedoch ihre Tränen vergießen, dann nur, weil etwas sie tiefer verletzt hat, als der mörderische Durst oder die Klinge eines Feindes es jemals tun könnten.«
    »Die Söhne und Töchter der Wüste sind sehr klug«, erkannte Sarah an, und um das Thema zu wechseln, griff sie demonstrativ nach der ledernen Tasche, die ihre Notizen enthielt.
    »Warum?«, fragte Kamal nur und setzte sich zu ihr, ohne dass Sarah ihn dazu aufgefordert hätte.
    »Was meinst du?«
    »Warum tun Sie das?«, wurde der Führer deutlicher. »Weshalb setzen Sie alles daran, ein Geheimnis zu lüften, das über so lange Zeit verborgen gewesen ist, und nehmen selbst den Tod unschuldiger Menschen dafür in Kauf?«
    »Ich habe nicht damit angefangen«, erinnerte ihn Sarah. »Unsere Gegner haben das erste Blut vergossen. Sie unternehmen alles, um in den Besitz des Buches von Thot zu gelangen. Wir können nur versuchen, ihnen zuvorzukommen.«
    »Und dann?«
    »Dann werden wir tun, was getan werden muss.«
    »Und das ist?«
    Kamals Tonfall war fordernd geworden, sein Blick so finster und stechend, dass Sarah sich in ihrer Haut unwohl zu fühlen begann. »Ich denke nicht«, erklärte sie ein wenig brüsk, »dass ich dir darauf antworten muss, Kamal. Ich bin die Leiterin dieser Expedition und dir keine Rechenschaft schuldig.«
    »Ich weiß, Mylady. Dennoch sollten Sie sich fragen, aus welchem Grund Sie das Buch des Thot zu finden hoffen.«
    »Das wurde ich bereits einmal gefragt.«
    »Und was haben Sie geantwortet?«
    »Dass es mehrere Gründe dafür gibt. Dass ich das sinnlose Morden beenden will, das die Jagd nach dem Buch ausgelöst hat. Und dass ich alles daran setzen werde, meinen Onkel zu befreien, der von unseren Feinden entführt wurde.«
    »Ich verstehe«, sagte Kamal leise. »Aber Sie tun es auch wegen Ihres Vaters, nicht wahr?«
    »Was?«
    »Ich habe gehört, wie Captain Hayden und Inspector Fox sich über Sie unterhalten haben. Sie waren beide der Ansicht, dass Ihr Vater der wahre Grund dafür wäre, dass Sie sich all das hier antun.«
    »Ach ja?«
    »Allerdings. Wie es heißt, geben Sie sich die Schuld am Tod Ihres Vaters und wollen Wiedergutmachung üben.«
    »Sieh an.« Sarah schürzte die Lippen. »Wer hätte gedacht, dass Captain Hayden und der gute Inspector Fox sich so für meine Person interessieren?«
    »Haben Sie denn Recht mit dem, was sie sagen?«
    »Wer weiß? Durchaus möglich.«

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