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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Odem der Oase in ihre Lungen. Was sie zunächst für einen harmlosen Zeitvertreib gehalten hatte, hatte sich als Lebensbeichte entpuppt.
    Sollte sie Kamal tatsächlich ihr größtes Geheimnis anvertrauen? Sollte sie ihm, einem Fremden, verraten, was bislang nur drei Menschen gewusst hatten? Andererseits, zwei dieser Menschen waren tot, der dritte befand sich in der Gewalt des Feindes. Vielleicht, dachte Sarah, war es an der Zeit, den Kreis derer, denen sie vertraute, um eine Person zu erweitern?
    »Mein Geheimnis«, eröffnete sie unvermittelt, »heißt tempora atra. Das ist Latein und bedeutet…«
    »… so viel wie dunkle oder auch verborgene Zeiten«, übersetzte Kamal mühelos. »Ich weiß.«
    »Verzeih. Ich hatte vergessen, dass…«
    »Nicht weiter schlimm.« Er lächelte. »Was hat es auf sich mit diesen ›dunklen Zeiten‹?«
    »Der Ausdruck stammt von meinem Vater«, fuhr Sarah zaghaft fort, »und er bezeichnet einen Teil meiner Kindheit, an den ich mich nicht erinnern kann.«
    »Was bedeutet das?«
    »Das bedeutet, dass ich mich meiner frühen Kindheit nicht entsinne. Alles, was vor meinem achten Geburtstag geschehen ist, ist wie ausgeblendet, liegt unter einem Schleier des Vergessens verborgen. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist ein Gesicht, das auf mich blickt, das ich jedoch nicht erkennen kann, weil alles undeutlich und verschwommen ist. Wie man mir Jahre später erklärte, war es wohl das Gesicht meines Vaters, der sich sorgenvoll über mich beugte, weil er befürchtete, ich würde sterben. Ein rätselhaftes Fieber hatte mich befallen, und es war nur dem beherzten Einsatz eines Arztes namens Mortimer Laydon zu verdanken, dass ich überlebte.«
    »Das ist der Mann, der entführt wurde, nicht wahr?«
    »Mein Patenonkel.« Sarah nickte. »Als ich krank wurde, fürchtete mein Vater, mich zu verlieren, wie er einst meine Mutter verloren hatte, und so flehte er seinen Freund Laydon an, mich zu heilen. Dieser wandte jede nur denkbare Arznei an, um das Fieber zu senken, und irgendwann, eines Morgens, öffnete ich plötzlich die Augen. Das Fieber war verschwunden – und mit ihm alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt erlebt und gesehen hatte. Ich kann mich an nichts davon erinnern, Kamal. Nicht an meine Kindheit und auch nicht an meine Mutter. Es ist, als hätte sie nie existiert. Und seit dem Tod meines Vaters frage ich mich manchmal, ob überhaupt etwas von dem, was ich erlebt und gesehen habe, wirklich gewesen ist.«
    »Es muss wirklich sein«, versicherte Kamal sanft, »sonst wären Sie nicht hier, Sarah.«
    Sie störte sich nicht daran, dass er sie beim Vornamen nannte – angesichts dessen, was sie einander offenbarten, erschien es ihr auf seltsame Weise passend. Und sie gestand sich ein, dass es guttat auszusprechen, worüber sie in so vielen Nächten wach gelegen und gegrübelt hatte…
    »Haben Sie je versucht, Ihre Erinnerungen zurückzuerlangen?«, erkundigte sich Kamal.
    »Natürlich. Zuerst hat Mortimer Laydon sein Glück versucht. Als er sich keinen Rat mehr wusste, haben wir andere Ärzte aufgesucht – nicht nur in London, sondern auch in anderen europäischen Städten, aber keiner von ihnen konnte mir helfen. Ein junger Arzt in Wien vertrat die Ansicht, ein Erlebnis in meiner Kindheit könnte der Auslöser für den Verlust meiner Erinnerungen gewesen sein, ein Erlebnis, das so schrecklich war, dass mein Bewusstsein sich bis heute weigert, sich daran zu erinnern. Und weißt du, was daran wirklich verrückt ist, Kamal?«
    »Was, Sarah?«
    »Obwohl diese Theorie von allen die bei weitem abenteuerlichste war, scheint sie mir der Wahrheit am nächsten zu kommen, denn seit dem Tod meines Vaters habe ich seltsame Träume. Es sind nur verschwommene Bilder, die ich sehe, aber mir ist, als wollten die Erinnerungen von einst zu mir zurückkehren. Sobald ich jedoch versuche, nach ihnen zu greifen, entwischen sie mir wie flüchtiger Rauch, und das treibt mich fast in den Wahnsinn.«
    »Unter den Tuareg gibt es eine Weisheit«, erwiderte Kamal. »Nur ein Narr würde versuchen, den Sand zu greifen. Sie müssen Geduld haben, Sarah. Wenn es Ihnen bestimmt ist, so wird das Geheimnis sich eines Tages offenbaren. Sicher gibt es einen Grund dafür, weshalb Ihnen die Wahrheit verborgen wurde.«
    »Da ist sie wieder, nicht wahr?« Sarah lächelte müde. »Die alte Frage von Schicksal und Bestimmung.«
    »Nichts geschieht zufällig, Sarah«, meinte Kamal überzeugt. »Was Ihnen widerfahren ist, lässt darauf

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