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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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erzählt?«
    »Hätte es denn etwas geändert?«, erwiderte Kamal. »Hätte Captain Hayden mich mit weniger Verachtung behandelt, wenn er gewusst hätte, dass mir bei meiner Erziehung die Segnungen des Empire zuteil geworden sind?«
    »Nun, ich…«
    »Ich will offen mit Ihnen sein, Lady Kincaid. Es ist mir gleichgültig, was irgendein Hauptmann über mich denkt. Ich gebe zu, dass ich in England viel gelernt habe, aber nach meiner Rückkehr nach Afrika musste ich feststellen, dass sich darunter nur sehr wenig befand, das mir für das Überleben in der Wüste von Nutzen sein könnte. Hier draußen ist der Mensch auf sich allein gestellt, und die wirklich wichtigen Lektionen erteilt nur die Natur selbst.«
    »Ich stimme dir zu«, bestätigte Sarah. »Ist dies das Geheimnis, das du mir anvertrauen wolltest?«
    »Keineswegs. Ich habe Ihnen noch nicht erzählt, weshalb ich England wieder verlassen habe.«
    »Nun?« Sarah lächelte. Kamal schien dieses Spiel sehr ernst zu nehmen, und sie wollte ihm den Spaß nicht verderben.
    »Zu Hause in England, Lady Kincaid«, erwiderte er mit düsterer Stimme, »bin ich ein gesuchter Mörder.«
    »Was?« Sarahs Lächeln verschwand schlagartig. Sie hatte sich nicht geirrt. Kamal nahm dieses Spiel sehr ernst!
    »Mit dem Geld, das meine Mutter mir hinterlassen hat, hätte ich in London ein gutes Leben führen können. Ich liebte eine junge Frau, die von gemischtem Blut war wie ich selbst, und sie erwartete ein Kind von mir. Wir wollten heiraten.«
    »Was ist passiert?«, wollte Sarah wissen, die ahnte, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen würde.
    »Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort«, antwortete Kamal mit belegter Stimme. »Zwei britische Soldaten, die sturzbetrunken waren, zerrten sie in eine dunkle Gasse, wo sie wie Tiere über sie herfielen. Als sie sich zur Wehr setzte, prügelten sie so lange auf sie ein, bis sie sich nicht mehr rührte. Sie starb in einer dunklen, schmutzigen Gasse, Lady Kincaid, und das Kind mit ihr.«
    »O Kamal. Das tut mir leid…«
    »Die Polizei wurde gerufen, und die beiden Täter wurden gefasst. Wissen Sie, was dann geschah?« Kamal lachte freudlos auf. »Man entließ die beiden wegen mangelnder Beweise – und das, obwohl sie in jener Nacht von einem halben Dutzend Zeugen gesehen worden waren. Das Grinsen des einen bei der Urteilsverkündung werde ich nie vergessen. An jenem Tag wurde mir klar, dass es in der Welt der Menschen keine Gerechtigkeit gibt – es sei denn, man verschafft ihr selbst Geltung.«
    »Was hast du getan, Kamal?«, fragte Sarah leise, obwohl sie die Antwort bereits ahnte.
    »Was die Aufgabe eines ordentlichen Gerichts gewesen wäre: Ich habe die Mörder meiner Frau zur Rechenschaft gezogen.«
    »Du – hast sie getötet?«
    »Einen von ihnen«, bestätigte Kamal verächtlich. »Der andere winselte so erbärmlich um Gnade, dass ich es nicht über mich brachte, ihm das Messer in die Brust zu stoßen. Also ließ ich ihn leben, aber ich sorgte dafür, dass er niemals wieder tun kann, was er meiner Frau angetan hat. Danach habe ich England den Rücken gekehrt und bin nach Afrika gegangen, um das Erbe meines Vaters anzutreten.«
    Stille trat ein, in der nur noch das Knacken der Flammen zu hören war. Sarah wusste nicht, was sie auf Kamals Geständnis erwidern sollte, und so herrschte eine Weile lang betretenes Schweigen.
    »Sie sind der einzige Mensch, mit dem ich je darüber gesprochen habe, Lady Kincaid«, sagte Kamal schließlich. »Das Gesetz der Wüste verpflichtet Sie dazu, alles, was sie gehört haben, für sich zu behalten. Aber natürlich sind Sie als Christin und Engländerin nicht an dieses Gesetz gebunden. Ich bin sicher, es wäre der Karriere von Inspector Fox zuträglich, wenn er einen flüchtigen Mörder…«
    »Inspector Fox ist nicht hier«, sagte Sarah, während man es im Hintergrund heiser schnarchen hörte, »und allem Anschein nach wird er sich so schnell auch nicht wieder zu uns gesellen. Also wird er wohl kaum erfahren, was zwischen uns gesprochen wurde.«
    »Ich verstehe.« Kamal nickte. »Und was ist mit Ihnen? Halten Sie mich für einen Mörder?«
    »Ich kann nicht gutheißen, was du getan hast, aber möglicherweise würde ich ähnlich handeln, müsste ich über den Mörder eines mir lieben Menschen richten.«
    »Mutaschakkir-ktir«, sagte Kamal und deutete eine Verbeugung an. »Nun kennen Sie mein Geheimnis. Verraten Sie mir jetzt das Ihre.«
    Sarah holte tief Luft, sog den angenehm kühlen, klaren

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