Der Schatten von Thot
Bord sind neben meiner Person und Maurice du Gard auch Q. G Jeffrey Hull, der es sich trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht hat nehmen lassen, die Expedition zu begleiten, sowie Inspector Fox vom Scotland Yard, der keine Gelegenheit auslässt, mich wissen zu lassen, dass er diese Reise für ausgemachten Unfug hält. Captain Hayden ist für die Sicherheit der Expedition verantwortlich, aber bisweilen glaube ich, dass sein Interesse mehr makellosen Uniformen und frisch polierten Stiefeln gilt. Seine fortwährenden Versuche, mich zu beeindrucken, wirken ermüdend, und schon jetzt sehne ich das Ende der Reise herbei…
4. D EZEMBER 1883
Nachdem wir die spanische Küste bei ruhiger See passiert haben, sind wir bei Gibraltar in einen Sturm geraten, bei dem zwei Besatzungsmitglieder der Rule Britannia den Tod gefunden haben.
Immerzu muss ich an die Worte des Duke of Clarence denken. Als die Nadel der Kleopatra einst von Alexandrien nach London gebracht wurde, starben sechs Matrosen, was der Herzog auf einen Fluch des Gottes Thot zurückführte. Obwohl ich als Christenmensch nicht an derlei Dinge glauben sollte, gibt es einen Teil von mir, der sich fragt, ob dieser Fluch nun auch uns ereilt hat…
6. D EZEMBER 1883
Nach einem zweitägigen Aufenthalt in Gibraltar, der dazu genutzt wurde, die durch den Sturm entstandenen Schäden an Rumpfund Maschine zu beheben, hat die Rule Britannia am Morgen ihre Reise fortgesetzt. An Steuerbord kann ich im Dunst bereits die ferne Küstenlinie Algeriens erkennen.
Afrika …
Niemals hätte ich geglaubt, so rasch hierher zurückzukehren, nicht nach allem, was geschehen ist. Ich habe nichts anderes getan, als meiner Verantwortung zu folgen, und wieder hat sie mich hierhergeführt, an den nördlichen Rand dieses dunklen Kontinents.
Ist dies Schicksal?
Wie mir gesagt wurde, soll in Kairo noch ein weiteres Expeditionsmitglied zu uns stoßen – ein Ägypter mit Namen Kamal, der uns als Führer zur Verfügung steh en wird. Zudem werden uns einige Soldaten aus Captain Haydens Einheit begleiten. Ich kann nicht behaupten, darüber glücklich zu sein, aber in Anbetracht der Bedrohung muss ich mich wohl damit abfinden…
17. D EZEMBER 1883
N ACHTRAG
Alexandrien!
Insgeheim habe ich mich vor dem Augenblick gefürchtet, in dem die vertrauten Umrisse am Horizont auftauchen würden, und tatsächlich umfing mich eine eigenartige Beklemmung, als die Rule Britannia den Leuchtturm und die britische Kaserne an der Westspitze der Halbinsel passierte und in den alten Hafen der Stadt einfuhr.
Der Anblick der Stadt mit ihren Kuppeln, Türmen und Minaretten weckte Erinnerungen, und nicht nur mir erging es so, sondern auch du Gard, der schweigend an der Reling stand und dessen Blick in diesem Moment in die Vergangenheit zu schweifen schien.
Sofort nach dem Anlegen gingen wir von Bord. Während Sir Jeffrey es auf sich nahm, die Einreiseformalitäten im Zollamt zu klären, begab sich der Rest der Gruppe zum nördlich von Moharrem Bey gelegenen Bahnhof, um den Zug nach Kairo zu besteigen.
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in der Abgeschiedenheit meines Abteils und lausche dem immer gleichen Rattern der Waggons. Wenn ich aus dem Fenster sehe, so erblicke ich die weite, fruchtbare Landschaft des Nildeltas, die der Mond mit blassem Schein beleuchtet – und kann kaum glauben, dass ich zurückgekehrt bin…
18. D EZEMBER 1883
Von Kasr-en-Nuzha her nähern wir uns Kairo, begleitet vom Licht des neuen Tages, der im Osten über der Wüste heraufzieht. Die Ebene zur Rechten und die schroffen Hänge des Djebel Mokattam zur Linken, erreichen wir die Stadt mit ihren sandfarbenen Häusern, den Kuppeln und Minaretten, umrahmt vom satten Grün der Dattelpalmen und durchflossen vom Band des Nils, das in der Morgensonne glitzert.
Über allem, was geschehen ist, habe ich fast vergessen, wie wundervoll Ägypten sein kann, aber ich darf mich jetzt nicht ablenken lassen, muss mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. In Kürze wird unser Zug im Bahnhof von Kairo einfahren – dann beginnt das Abenteuer, und wir werden eine Suche fortsetzen, die vor dreitausend Jahren begonnen wurde.
Bin ich dieser Ehre würdig? Bin ich der Herausforderung gewachsen?
Es steht viel auf dem Spiel…
K AIRO
19. D EZEMBER 1883
»Yalla! Yalla!«
Der gellende Ruf, mit dem die Kameltreiber ihre Tiere durch die überfüllten Straßen trieben, war das Erste, was
Weitere Kostenlose Bücher