Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
zu einer befremdlichen Rivalität darum, wer länger aushalten konnte, und der Stolz verbot es, als Erster aufzugeben.
Während sie hungerten, froren und Schmerzen ertrugen, verging die Zeit. Elion hielt sich aufrecht, indem er seinen Geist in eine glückliche Zeit zurücksandte und seinen Körper die Arbeit tun ließ, die getan werden musste. Am Ende war er erstaunt, als die Höhle fertig war. Er schaute um sich, doch war er so erschöpft, dass er alles nur noch verschleiert sehen konnte. Im Schutz der Felsen an der Seite des Abhangs hatten sie sich in die Masse des Erdrutsches hineingegraben, indem sie hier etwas weghackten und etwas abstützten, bis der Platz für zwei Männer und ein Pferd ausreichte. Den Boden hatten sie mit Kiefernzweigen ausgelegt, so dick wie eine Matratze, um Feuchtigkeit und Kälte abzuhalten. Elion und Tormon musterten einander still, dann schüttelten sie sich die Hände und fühlten sich stolz, was sie zuwege gebracht hatten.
Zu Elions Überraschung weigerte sich das Pferd keineswegs, die Höhle zu betreten; im Gegenteil hätte es ihn fast niedergetrampelt, um endlich hineinzugelangen. Das Tier musste sich ducken, weil Astenden aus der Decke ragten und ihm über den Rücken schabten. In der Höhle ließ sich Elion auf die Knie fallen. Er zitterte am ganzen Körper. Dann rieb er sich das Gesicht, befreite seinen Bart vom Eis und massierte sich die steifen Finger, die entsetzlich schmerzten.
Bei Reisen durchs Gebirge – eine Standardprozedur für Wissenshüter – trug Elion eine flache Metallflasche bei sich, die mit einer Mischung aus Wasser, Honig und Weinbrand gefüllt war, was in der Kälte ein gutes Stärkungsmittel darstellte. Nach einer Weile hatte er wieder ausreichend Gefühl in den Fingern, dass er in die Innentasche seiner Weste fassen konnte, wo er die Flasche der Körperwärme wegen aufbewahrte. Er zog den Stopfen mit den Zähnen heraus, und der erste Schluck des klebrigen Gebräus rann ihm lauwarm die Kehle hinunter. Nach ein paar weiteren Schlucken hatte er wieder einen klaren Kopf. Er reichte Tormon die Flasche, der, gegen das Pferd gelehnt, noch aufrecht dastand.
Ein paar Augenblicke später war die Lebendigkeit in Tormons Augen zurückgekehrt. »Das hat gut getan«, sagte er aufatmend. Die letzten Tropfen aus der Flasche goss er sich in die Hand und ließ das Tier sie auflecken. »Davon könnten wir mehr gebrauchen. Hast du die Zutaten bei dir?« Mit jedem Wort gewann seine Stimme ein wenig mehr ihre Kraft zurück.
»In den Satteltaschen – solange das Wasser nicht gefroren ist.« Elion stand mühsam auf, um nach dem großen Wasserbehälter zu sehen, der an einem Haken am Sattel hing.
»Sollte es eigentlich nicht«, meinte Tormon. »Ich habe es beim Reiten unter meinem Oberschenkel gehalten. Setz dich wieder – ich erledige das schon.«
Elion hatte unbeholfen an der Schnalle herumgenestelt. Tormon dagegen machte im Nu das Gepäck los und reichte es ihm hinüber. Dann löste er die Sattelgurte, nahm mit einem Schwung den Sattel vom Pferd und klemmte ihn über dem Boden zwischen zwei Ästen ein. Elion sah ihn mit großen Augen an. Er musste daran denken, dass der Mann auf der ganzen Wegstrecke vor lauter Trauer eine Last gewesen war – und doch war er trotz Kummer und Elend zu einer praktischen Handlung fähig gewesen, wie etwa das Einfrieren des Wassers zu verhindern. Elion schwankte zwischen Bewunderung und Groll.
Tormon tätschelte dem Fuchs den Hals und meinte: »Gut, dass sie so klein ist. Wir hätten niemals eines von Kanellas Tieren -« Er brach plötzlich ab und drehte sich hastig weg, um sein Gesicht zu verbergen. Elion litt mit ihm. Um Tormon Zeit zu geben, seine Fassung wieder zu erlangen, begann er, sich in der Hütte einzurichten. Der Glimmer steckte bereits zwischen zwei Zweigen. Mit dem Pferd zusammen hatten sie nur sehr wenig Platz. Er warf einen raschen Blick zu Tormon hinüber und beobachtete wachsam die flinken Hinterbeine des Braunen – obwohl der ihm zu schwach und elend vorkam, um seine üblichen Bosheiten zu verüben –, während er mit dicken Reisigbündeln den Höhleneingang verschloss.
Tormon drehte sich zu ihm um. Er war blass, und seine Züge hatten sich verhärtet. »Vergiss den Pfahl nicht!«
Elion nickte und sah sich suchend um. Tormon hatte für den Bau der Schutzhütte von einem jungen Baum Zweige und Wurzeln abgeschnitten. Den richtete er senkrecht in der Mitte auf, stieß ihn durch das Geflecht aus Ästen und Zweigen,
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