Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
welches das Dach bildete, sodass er ein gutes Stück aus der Schneedecke herausragte.
»Eine gute Methode, um unsere Position zu markieren, falls wir einschneien und ausgegraben werden müssen«, meinte Elion anerkennend.
Er hatte völlig vergessen, dass Tormon nichts über Thirishris Existenz oder über telepathische Kommunikation wissen konnte. Ebenso unbekannt war dem Händler, dass noch andere Wissenshüter sich in einem Haus am Weg aufhielten.
Tormon sah ihn seltsam an. »Das Letzte, was wir wollen, ist, dass uns jemand aus dieser verfluchten Stadt ausgräbt«, sagte er düster. »Das Wesentliche an dem Pfahl ist, dass er uns ein Atemloch offen halten wird, egal wie viel Schnee diese Nacht noch fällt.«
Elion fühlte sich verlegen und beschäftigte sich mit seinem Gepäck. Er wickelte die Decken aus der gewachsten Segeltuchplane aus, die sie trocken gehalten hatte, und richtete seine Gedanken ausschließlich auf eine warme, bequeme Nacht.
»Gibt es noch eine trockene Decke?«, fragte Tormon schroff.
Elion war froh, dass der Mann endlich seine Meinung änderte und nicht mehr glaubte, allein zurechtkommen zu müssen – denn in Wahrheit begann Elion sich diesem wortkargen, geschickten Mann gegenüber unzulänglich zu fühlen. Und so kramte er aus seinem Gepäck eine große weiche Flanelldecke hervor. Tormon nahm sie mit einem Kopfnicken entgegen, knüllte sie zusammen und begann das Pferd kräftig damit abzureiben. »He!«, rief Elion entrüstet. »Das ist die Einzige, die ich habe.«
Der Händler sah ihn verständnislos und ein wenig ratlos an. »Und sie ist das einzige Pferd, das du hast«, hielt er ihm entgegen. »Sie ist nass, und es ist kalt – willst du, dass sie eingeht?«
Elion dachte darüber nach, wie es wäre, zu Fuß nach Gendival zurückzuwandern. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich trockne höchstens mich selbst an einer Decke ab.«
Ein paar Fältchen zeigten sich in Tormons Augenwinkeln, als ob er lächelte. Aber er sagte nichts und wandte sich dem Pferd wieder zu. Obwohl er seelisch und körperlich völlig erschöpft war, wie sein graues Gesicht und die gebeugten Schultern zur Genüge deutlich machten, fuhr er fort, sich um das Tier zu kümmern, rieb es trocken, untersuchte die Läufe und sprach dabei mit ihm in einem leisen, freundlichen Singsang. »Du bist ein feines Mädchen, tapfer wie ein Löwe und schnell wie der Wind … bald bist du warm und trocken und hübsch wie eine Schlüsselblume …«
Das Pferd gab die kauernde Körperhaltung auf, entspannte sich zusehends und hörte auf zu zittern. Es stellte die Ohren auf und sah schon viel munterer aus. Ganz offensichtlich sprach es darauf an, was Elion leicht empört als unnötiges Verhätscheln betrachtete. Feines Mädchen, so weit kommt’s noch!, dachte Elion. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er eine Stute ritt, bis Tormon es ausgesprochen hatte. Wart’s nur ab, drohte er ihm in Gedanken an. Warte nur, bis dieses Fleisch fressende Ungeheuer sich erholt hat. Dann werden wir ja sehen, was für ein neunmalkluger Pferdefreund du bist! Elion war sicher, dass das Schicksal ihm Recht geben würde. Nach einer Weile drehte die Fuchsstute den Kopf nach hinten, als Tormon ihr die Schulter abrieb. Na also, frohlockte der Wissenshüter. Ich wusste doch, dass es nur eine Frage der Zeit war. Das Untier wird ihn zum Dank für seine Mühe beißen.
Stattdessen gab die Stute ein leises zufriedenes Wiehern von sich, rieb ihren Kopf an der Jacke ihres Pflegers und steckte das Maul neugierig in seine Taschen. Das sah tatsächlich wie eine Geste der Zuneigung aus. Elion staunte nicht schlecht, und zugleich hörte er ein klingendes Lachen von Thirishri, die irgendwo unter dem niedrigen Dach schwebte. »Und du kannst gefälligst auch still sein!«, dachte er mit einem wütenden Knurren, aber das rief nur noch mehr Gelächter hervor.
»Ich dachte, du wolltest noch mehr von dem Honigwasser zubereiten«, erinnerte Tormon ihn freundlich.
»Tschuldigung.« Ein ziemlich gedämpfter Hüter des Wissens suchte aus seiner Satteltasche die Flasche mit dem Weinbrand und den kleinen Tonkrug mit Honig heraus. Er war ehrlich froh, etwas zu tun zu haben, das nicht mit diesen blöden Pferden zu tun hatte. Außerdem war er dankbar für die Ablenkung. In diesem Moment war die Fuchsstute das Letzte, worüber er sich Gedanken machen wollte.
Wenig später saßen die beiden Männer in Decken gewickelt und aßen Dörrfleisch, steinharten Zwieback und einen zähen,
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