Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
schier unerträglichem Kummer. Er war in keiner besseren Verfassung gewesen als dieser hier. Wäre nicht Kazairl gewesen, wären weder er noch die schwer verwundete Veldan lebendig aus dem Reich der Ak’Zahar entkommen.
Mit einem Mal regte sich Mitgefühl in ihm. Er kämpfte sich unter dem Mann hervor, und sie halfen einander auf die Beine. Trotz Schnee und Dunkelheit glaubte Elion, dass ihre Blicke sich begegneten und dass sie in diesem Moment ein gemeinsames Gefühl miteinander verband. Doch im nächsten Augenblick fegte der Sturm sie von den Füßen und heulte mit seiner ganzen Wildheit.
*Tut mir Leid. Ich konnte die Barriere nicht mehr aufrechterhalten. Aber ihr seid fast da, Elion. Nur noch ein paar Schritte …*
Diese letzten Schritte erschienen Elion als die längste Reise seines Lebens. Hätte er nicht die tatkräftige Unterstützung seines Begleiters gehabt, wäre er niemals angekommen – tatsächlich hätte es keiner ohne den anderen geschafft. Es war ihnen gelungen, dem Pferd wieder aufzuhelfen, doch nachdem Tormon mit kundiger Hand die Beine untersucht hatte, hatte er mit blutigen Händen dagestanden. Elion hoffte, dass es nichts Schlimmes war. Das Pferd hinkte jammervoll, mit gesenktem Kopf hinter ihnen her, und die strähnige Mähne klebte ihm am Hals.
*Hier, Elion! Nach links!*, rief Thirishri. Der Wissenshüter konnte kaum glauben, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Er zog Tormon am Arm und lenkte seinen traurigen kleinen Trupp den windgeschützten Hang hinab.
Elion hätte glücklich zusammenbrechen und ein Jahr lang schlafen mögen, doch er wusste, dass er sich jetzt nicht gehenlassen durfte. Die Schlucht zu finden und aus dem Sturm herauszukommen war nur der erste Schritt gewesen. Hier konnten sie immer noch sterben – es würde nur länger dauern, das war der einzige Unterschied. Der Schnee fiel nach wie vor dicht und hatte die Verwüstung unter einer dicken weißen Kruste begraben. Elion wusste, dass das Wärmegefühl in seinem Gesicht nur eine Illusion war.
Um sich einen Unterschlupf zu bauen, brauchten sie Licht, und Elion machte sich mit steif gefrorenen Fingern, die sich anfühlten wie Holzklötze, an den Satteltaschen zu schaffen. Er war gezwungen, sich einen Handschuh auszuziehen, um die Schnalle zu öffnen, und das eisige Metall brannte ihm wie Feuer an den Händen. Er durchwühlte eine Tasche und fand alles Mögliche, was ihnen in dieser kalten Nacht noch hilfreich sein mochte. »Bitte«, flehte er, »liege nicht ganz unten!«
Doch wie immer hatte er beim Packen anständige Arbeit geleistet. Die Glimmer waren seitlich in der Tasche verstaut, wo er sie leicht herausnehmen konnte. Er brachte einen Gegenstand aus robust aussehendem Glas zum Vorschein, der etwa einen Fuß lang und nur so dick wie ein Besenstiel war. Tatsächlich bestand er aus zwei gleich großen Teilen, die durch ein Meisterstück der Glasbläserkunst miteinander verbunden waren. Elion hatte sich nie getraut, so ein Ding zu öffnen, um nachzusehen, wie es konstruiert war – er war schließlich ein Hüter des Wissens und kein Erfinder –, doch fand er es auf gewisse Weise angemessen, denen dankbar zu sein, die sich darauf verstanden, die Glimmer herzustellen. Er nahm den Glimmer an beiden Enden und drehte kräftig in entgegengesetzte Richtungen. Es gab ein lautes Knacken, welches anzeigte, dass die Versiegelung gebrochen war und sich der Inhalt beider Teile vermischte. Sofort strahlte der Glimmer ein starkes grünliches Licht ab und brachte den wirbelnden Schnee zum Glitzern.
Tormon schaufelte bereits mit beiden Händen den Schnee beiseite. Er fuhr herum, als das seltsame Licht aufflammte, und staunte offenen Mundes. Dann nahm er sich zusammen. »Danke – das sollte uns helfen«, rief er und wandte sich wieder der nächstliegenden, lebenswichtigen Aufgabe zu. Elion steckte den Glimmer in den Schnee, sodass der Platz beleuchtet wurde und sprang Tormon zu Hilfe. Sie schoben sich die Stämme und Äste zurecht, hackten an ihrer Unterseite mit Schwert und Dolch eine Höhlung heraus und gruben weiter ins Erdreich hinein, bis sie sich eine ausreichend große Höhle geschaffen hatten. Auch für zwei halb erfrorene Männer eine schweißtreibende Arbeit, zumal sie Raum für das Pferd schaffen mussten. Der Luftgeist konnte nicht mehr tun, als den Schnee von ihnen fern zu halten; Thirishri war von ihrem heldenhaften Kampf gegen den Sturm völlig erschöpft. Die schiere Verzweiflung trieb die beiden Männer an, dabei kam es
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