Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Unwissenheit und Unschuld eine Frage, die dem Schattenbund seit unzähligen Generationen Rätsel aufgab und aus ferner Vergangenheit stammte.
Im Schattenbund herrschte die allgemeine Überzeugung, dass sich irgendwo tief im Innern Myrials die komplexe – anorganische und künstliche – Intelligenz befand, von der die wundersame Komposition dieser Welt aufrechterhalten wurde. Man munkelte ferner, dass es ein verborgenes und längst vergessenes Portal gebe, das den Zugang in das wirkliche Herz Myrials ermögliche.
Aethon fühlte sich beschwingt vor Begeisterung. Dieser Ort war hier! Hier war das Portal immer gewesen, verborgen in diesem Sumpf des Aberglaubens. Zugleich war er empört. Dieser Narrenpriester nannte ihn Auge Myrials und glaubte, mit einem primitiven Gott zu kommunizieren. Stattdessen hatte er die ganze Zeit über Zugang gehabt zu dem Ort, den der Schattenbund seit seiner Entstehung so verzweifelt suchte – dem Ort, an dem allein der Zusammenbruch des lebenswichtigen Systems dieser zerbrechlichen Welt aufgehalten werden konnte.
Dann holte ihn die Wirklichkeit ein. Aethon verlor jeden Mut. Er hatte keine Möglichkeit, diese Erkenntnis weiterzugeben, denn es war ihm unmöglich, telepathisch einen Wissenshüter zu erreichen, der diese lebenswichtige Neuigkeit hätte weiterleiten können. Noch einmal, doch mit wenig Hoffnung, tastete er nach dem Geist des Hierarchen. Irgendwie musste er den Narren dazu bringen, ihm zuzuhören! Wenn er keinen Weg fand, diesen erbärmlichen, unglückseligen Menschen bei Sonnenuntergang zu retten, dann würden sie das Geheimnis von Myrials Herz gemeinsam mit ins Grab nehmen.
Toulac, Veldan und Kazairl waren durch die unteren Zehnthöhlen in den Tunnel vorgedrungen, der sich als viel steiler erwies, als Veldan sich vorgestellt hatte und das, obwohl der Weg in Serpentinen durch den Fels hinabführte und dadurch ein noch schlimmeres Gefälle vermied. Veldan war wegen der engen Kehren des Tunnels sehr besorgt. »Kaz wird dadurch nicht so schnell sein können«, flüsterte sie. »Sie werden uns bei der Flucht behindern.«
Toulac sah sie von der Seite an und zwinkerte. »Diese Kehren sind ein Geschenk Gottes, denn man wird mit der Armbrust auf uns schießen«, erwiderte sie. »Du musst lernen, immer das Erfreuliche zu sehen, Mädelchen! In jedem Kampf gibt es etwas, das man zu seinem Vorteil nutzen kann. Du musst es nur erkennen.«
Sie gingen eine Weile still weiter. Im schwachen Schein von Veldans Glimmer tasteten sie sich voran. Die Wissenshüterin spürte einen Klumpen in der Magengrube und einen Druck im Hals, als ob sie sich gleich übergeben müsse. Seit ihrer Verwundung durch die Ak’Zahar hätte sie sich nun zum ersten Mal wieder einem Kampf zu stellen. Sie erinnerte sich an die Schmerzen, als die gezackte Klinge sie im Gesicht getroffen hatte, an die Schreie – ihre eigenen oder Melnyths? –, die von weit her zu kommen schienen.
»Das war etwas anderes, Boss«, sagte Kaz behutsam. »Diesmal kämpfen wir nur gegen Menschen. Mit diesem Haufen können wir es im Schlaf aufnehmen! Außerdem«, fügte er mit einem Blick auf Toulac hinzu, »steht dir jetzt ein Mensch zur Seite, der Mut und Verstand besitzt – jemand, auf den du dich verlassen kannst.«
»Glaubst du nicht, dass sie ein bisschen alt ist für solche Dinge?« Sie schirmten ihr Gespräch sorgfältig gegen Zuhörer ab, und Veldan brachte nun endlich vor, was auf dem ganzen Weg durch die Höhlen an ihr genagt hatte.
»Ich würde mich wegen Toulac nicht verrückt machen«, meinte der Drache. »Wenn sie in Bezug aufs Kämpfen etwas verlernt hat, dann sicher weniger als wir je gewusst haben.«
Ihre Unterhaltung wurde beendet, als Toulac die Hand hob und stehen blieb. »Das ist die Stelle«, sagte sie leise. »Der Wachraum ist um die Ecke am Ende des Korridors. Ich werde mich anschleichen und auskundschaften, dann können wir weitersehen. Einverstanden?«
»Vielleicht sollte ich gehen«, schlug Veldan vor.
Toulac schüttelte den Kopf. »Ich kenne mich hier aus. Es dauert nur einen Augenblick – will bloß nachsehen, wie viele Wachen sich da aufhalten.« Sie wandte sich zum Gehen, dann zögerte sie plötzlich. »Veldan? Du kennst doch unseren Fluchtplan?«
Veldan nickte verwundert.
»Nun, falls wir es schaffen können, ohne uns in allzu große Gefahr zu bringen, würde es dir etwas ausmachen, wenn wir zurückgehen und Mazal holen? Nur, wenn es sich ergibt, natürlich«, fügte sie noch ein bisschen
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