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Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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angewiesen.
     
    Zavahl träumte. Das Auge Myrials war so kalt und grau wie ein längst erloschenes Feuer. Die Stimme bewahrte Schweigen, und es blieb eine brütende Stille. In der vollkommenen Dunkelheit des Allerheiligsten schimmerte schwach der gewaltige Kreis des Auges, matt und grau wie Blei, als wäre er aus dem Himmel über Tiarond herausgeschnitten und zum Hohn des Hierarchen in den Tempel gebracht worden.
    Zavahl ertrank in Elend und Verzweiflung. Er hielt die Augen geschlossen, um den schrecklichen Anblick nicht sehen zu müssen. »Warum willst du mir nicht antworten?«, rief er mit krächzender Stimme. »Ich brachte dir die Botschaft vom Großen Opfer, das heute dir zu Ehren dargebracht wird. O großer Myrial, daran wirst du doch Gefallen finden?«
    Er wartete, aber es kam keine Antwort. Der Hierarch ballte eine Faust und schlug auf den Sockel. »Liegt es an mir?«, rief er. »Habe ich irgendwo gefehlt? Wird nichts, was ich zu deiner Besänftigung tue, je genügen?« Tief in seinem Innern fürchtete er die Antwort. Wenn die Opferung des Drachen nicht genügt, um den Gott zu besänftigen, konnte das nur eines bedeuten: Zavahls Tod war es, den Myrial forderte.
    Habe ich mich am Ende getäuscht?, dachte er. Habe ich mir nur eingeredet, Myrial habe den Drachen als Zeichen seiner neuerlichen Gunst gesandt? Wenn ich die ganze Zeit über im Irrtum gewesen bin und der Mord an dem Händler und seiner Familie umsonst war, was dann? Und wenn nun die Opferung ebenfalls ein Irrtum ist?
    Der Hierarch zog die Hand mit dem Ring, dessen purpurnes Juwel in die Vertiefung des Steins passte, zurück. Sofort verlosch der blasse Schein im Kreis des großen Auges, als habe jemand eine Kerze ausgeblasen …
    Und Zavahl erwachte in der wirklichen Dunkelheit.
    Die Wirklichkeit war noch schlimmer als der Traum. Verloren und ohne Hoffnung blickte der Hierarch der bitteren Wahrheit des erwachenden Tages ins Auge. Er befand sich nicht im Allerheiligsten, sondern in einer Zelle unter der uneinnehmbaren Festung. Sie hatten ihm die Fesseln abgenommen, doch er war in einem bewachten Grab aus Stahl und Stein eingeschlossen. Niemand konnte ihm noch helfen. Es war nicht der Drache, der geopfert werden sollte. Er selbst würde bei Sonnenuntergang an seine Stelle treten. Gilarra würde die juwelenbesetzte Robe des Hierarchen anlegen und der großen Zeremonie vor den Augen der versammelten Stadt präsidieren. Sobald es dunkel werden würde, würde sie sein Leben auslöschen.
    In gewisser Weise konnte er ihr das nicht übel nehmen. Er hatte für Callisiora als das Reich gesorgt, und Friede und Wohlstand waren sein Hauptanliegen gewesen. Aber wie er wusste, sorgte sich die Suffraganin mehr um das Volk, um die einzelnen Menschen und ihr unbedeutendes, trauriges, stumpfsinniges Leben – um die namenlosen, gewöhnlichen Arbeitssklaven. Doch aufgrund des Versagens und der Unzulänglichkeit des Hierarchen litt das ganze Land unter Hunger und Krankheit. Und wenn er so vollkommen versagt hatte, war es Gilarras Recht, ja sogar ihre Pflicht, seinen Platz einzunehmen und zu tun, was sie für notwendig erachtete.
    Vielleicht ist Myrial mit ihr zufriedener, dachte er. Vielleicht wird das Auge wieder erwachen und zu ihr sprechen. Vielleicht wird der Regen aufhören, werden die Wolken aufbrechen und die Sonne hervorkommen. Dann hat mein Tod am Ende wenigstens einen Sinn gehabt. Vielleicht gibt es tatsächlich so etwas wie Wunder.
    Vielleicht gibt es sie, Zavahl. Und wenn du nur auf mich hören würdest, könnten wir selbst ein Wunder wirken.
    Zavahl erstarrte. Er hatte diese Stimme schon so lange nicht mehr gehört, dass er sich eingeredet hatte, sie sei nur eine Ausgeburt seines verwirrten, gequälten Geistes gewesen. Wieder einmal erwies sich die Wirklichkeit als schlimmer. Der Dämon war wieder da.
     
    Während des langen, unbequemen Rückwegs von der Sägemühle waren sie auf dem knochigen Rücken eines Tieres festgebunden gewesen und durchgeschüttelt worden, und Aethon hatte sich still verhalten und den Hierarchen in Frieden gelassen. Er war ebenso niedergeschlagen und mutlos wie sein Wirt gewesen und hatte sich seiner Verzweiflung hingegeben. Erst als sie in der unheilvollen Zitadelle angekommen und Zavahl in den tiefen Schlaf der Erschöpfung gefallen war, hatte Aethon sich schließlich ausgestreckt und den Geist Zavahls erkundet, sein finsteres Gefängnis.
    Die Hoffnung keimte an unerwarteter Stelle. Zavahl begann zu träumen – und löste in

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