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Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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würden alle Winde der Welt sich in einen einzigen Seufzer verströmen. Dabei änderte der Kreis sein tiefes Dunkelrot in Purpur und Scharlach über Kupfer nach Gold und schließlich zu einem unerträglich glühenden Weiß. Aus dem Rauschen entstand allmählich ein Pochen, das in einen langsamen, majestätischen Rhythmus überging, der an Herzschlag denken ließ; bei jedem Schlag pulsierte der weiß glühende Ring wie ein lebendiges Wesen. Zavahl war halb blind von der Helligkeit und fühlte sich wie ein aufgespießtes Insekt, auf das ungerührt der Gott starrte.
    Dann erstarb das grelle Licht unter Funkensprühen und hinterließ einen Kreis, der wie ein Diamant in allen Regenbogenfarben funkelte. Stille senkte sich herab, ein erwartungsvolles Schweigen. Zavahl hielt den Atem an, hoffte und betete …
    Dies war der Moment, da die dunkle Mitte des Großen Auges sich erhellen sollte, um dessen Wunder zu offenbaren: Bilder aus Vergangenheit und Zukunft, vom Zustand des Reiches und dem weltlichen Leben der Menschen, die unter seiner Herrschaft standen. Myrials mächtige Stimme sollte zu seinem Diener sprechen, ihm antworten, raten oder befehlen und seinen Willen kund tun. Mit bebender Stimme flehte Zavahl zu seinem Gott: »O Einziger – erhöre deines Dieners Bitten!«
    O Myrial, hilf mir jetzt!
    Zavahl wartete. Er wagte nicht zu atmen und zitterte vor Anspannung. Dann sank ihm der Mut, denn der leuchtende Ring begann unruhig zu flackern, wurde an manchen Stellen käsig gelb, während das Licht an anderen Stellen ganz erlosch. Trotz seines inbrünstigen Gebetes blieb die Pupille leer, dunkel, leblos. Myrial erhob seine Stimme, summte und fauchte und steigerte sich zu einem misstönenden Kreischen, das Zavahl zwang, sich die Hände auf die gepeinigten Ohren zu pressen.
    In dem Moment, als er die Säulenplatte losließ, riss die Erscheinung mit bestürzender Plötzlichkeit ab. Wie ein bleierner Mantel legte sich die Stille auf den Hierarchen. Er war krank vor Enttäuschung und Verzweiflung, und sein ganzer Körper schmerzte infolge der Anspannung. Er fühlte sich geschlagen. Mit den Bewegungen eines kraftlosen alten Mannes schleppte sich Zavahl zurück über die gefährliche Brücke.
    Im Tempel angelangt, beschirmte er die Augen gegen den Schein des Goldes und der Edelsteine. Ihre glitzernde Herrlichkeit erschien ihm billig und geschmacklos vor dem unirdischen Glanz, den das geheimnisvolle Auge des Gottes ausstrahlte. Zavahl zog sich die Schuhe an und nahm das Diadem, um es sich wieder auf die Stirn zu setzen. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Er zögerte. Welches Recht habe ich noch, es zu tragen?, dachte er. Es ist unmissverständlich, dass Myrial sich von mir abgewandt hat. Ich habe gefehlt, und ganz Callisiora zahlt den Preis für meine Schuld – aber nicht mehr lange.
    Ihm zitterten die Hände, als er sich dann doch das Diadem aufsetzte. In zwei Tagen würde man die Herbstheiligen feiern, den vierten Wendepunkt im Jahreslauf von Callisiora, wo der Winter die Herrschaft antrat. Das war zugleich die Festnacht des Todes. In der grausamen Vergangenheit des Reiches hatte man zur Festnacht des Todes, sobald die Sonne untergegangen war, ein Opfer dargebracht: einen Boten, der sich bei Myrial für die Lebenden verwenden sollte, auf dass der Gott sein Volk schütze und sicher durch den langen, harten Winter geleite.
    Ein Frösteln durchlief den Hierarchen; ihm war, als tasteten kalte Finger aus dem offenen Grab nach ihm. In diesem Jahr würde man noch einmal Blut vergießen müssen, um das Land vor dem Untergang zu retten. Wenn Myrial ihm auch an den nächsten beiden Tagen seine Unterstützung versagte, dann würde Zavahl als der gescheiterte Hierarch das Große Opfer sein müssen – das Opfer und der Retter, um die Wohlfahrt des Landes wiederherzustellen …
    »Ah, Hierarch«, begann eine trockene Stimme hinter ihm und ließ ihn heftig auffahren. »Hier also verbirgst du dich. Stoßen deine Bitten noch immer auf taube Ohren?«
    »Du bist Soldat, Blank«, erwiderte Zavahl kalt. Er sah den hochgewachsenen, grauhaarigen Emporkömmling verächtlich an. Glänzende Abzeichen und eine strenge, aufrechte Haltung wiesen ihn als den Heerführer der Heiligen Krieger Myrials aus, der Schwerter Gottes. »Sosehr du dich für einen Gelehrten hältst, solltest du das Göttliche doch dem überlassen, der sich darauf am besten versteht.«
    Blank spitzte amüsiert die Lippen. »Oh, du siehst mich zutiefst zerknirscht, mein Hierarch.

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