Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
um nachzudenken.
Offensichtlich war es eine Menge Ärger, den ihre Freunde sich da eingehandelt hatten. Und offensichtlich erstreckten sich die Unstimmigkeiten auch auf die beiden Fremden, die sie mitgebracht hatten. Was also sollte sie tun? Ihr war nicht klar, noch nicht, ob sie und Zavahl an Ort und Stelle bleiben oder fliehen sollten. Nur eines war sicher: Falls sich herausstellte, dass Flucht das Beste war, dann sollten sie vorbereitet sein. Dann kam ihr noch ein anderer Gedanke.
Halt mal! Will ich mir Zavahl wirklich aufhalsen? Er kann mich nicht leiden, und noch weniger vertraut er mir. Wenn wir hier bleiben, wird er mir nur auf die Nerven gehen, und wenn wir zusammen fliehen, wird er nichts weiter als eine Belastung sein.
Toulac seufzte. Unglücklicherweise hatte sie ein Gewissen, und es erinnerte sie soeben daran, dass sie und Veldan es gewesen waren, die Zavahl in diesen Schlamassel gebracht hatten, von der Tatsache einmal abgesehen, dass sie ihn dadurch vor Schlimmerem bewahrt hatten. Ihm war es viel schwerer gefallen als ihr, sich auf den Gedanken an andere Länder und fremdartige Völker hinter der Schleierwand einzulassen. Sein Glaube, von dem er völlig durchdrungen gewesen war, bestritt solche Dinge ohne Wenn und Aber, und niemand konnte wirklich von ihm erwarten, die wichtigsten Grundsätze seines Lebens schon nach ein paar Tagen wegzuwerfen, ohne dass er sich dagegen sträubte. In gewisser Weise fühlte sie sich für ihn verantwortlich. Sie und die anderen hatten ihn gegen seinen Willen hierher gebracht, und wenn Veldan, Kaz und Elion zur Zeit aus dem Spiel waren, blieb nur sie übrig.
Also gut, Zavahl. Aber mach bloß keine Mätzchen.
Toulac traf ihre Vorbereitungen schnell. Zum Glück hatte Ailie ihr ein paar vernünftige Kleidungsstücke besorgt. Die Hosen waren ein wenig zu weit, aber annehmbar, wenn man sie mit einem Gürtel zusammenhielt. Dafür waren sie aus dem robusten Material, wie das arbeitende Volk sie schätzte. Ein warmes Hemd und eine wollene Weste hatte sie ihr dazugelegt. Und jetzt … Wenn der Wachmann sie erwischte, wie sie mit einem Schwert herumlief, würde er zweifellos versuchen, es ihr abzunehmen. Dabei hoffte sie doch, Blutvergießen wenn möglich zu vermeiden. Sie suchte in den geräumigen Taschen ihres alten Schaffellmantels und wühlte sich durch eine reiche Sammlung nützlicher Dinge, bis sie zwei Stücke Schnur gefunden hatte. Damit band sie sich das Schwert auf dem Rücken fest, sodass es ihr höchst unbequem an der Wirbelsäule herabhing, während sich das Heft zwischen ihre Schulterblätter schmiegte. Wenn sie den langen Fellmantel überzog, war von der Waffe nichts mehr zu sehen, abgesehen von einer seltsamen Steifheit in ihren Bewegungen, die sie wahrscheinlich auf ihr Alter schieben könnte.
Eine Brotkruste und eine Scheibe Käse waren vom Mittagessen übrig geblieben. Die wickelte sie in ein Leinentuch und stopfte sie in eine ihrer Taschen, wobei ihr einfiel, dass sie auch ein paar Kerzen aus der Schachtel am Kamin einpacken könnte. Gut. Das hätten wir.
Jetzt gab es keine weiteren Ausflüchte. Toulac schlenderte aus der Tür, als plagten sie keinerlei Sorgen. Anstatt sich Zavahls Kammer zuzuwenden, nahm sie die entgegengesetzte Richtung zur Treppe.
»He, Oma! Wo willste denn hin?«
Toulac verschob ihre Gesichtszüge, bis sie hoffentlich eine tatterige Beschränktheit ausdrückten, und drehte sich um, bevor der Mann ihr auf die Schulter klopfen und das versteckte Schwert bemerken konnte.
»’n Abend, Junge«, sagte sie gut gelaunt. »Der Abend ist zu schön, um im Zimmer zu hocken. Ich mache nur einen kleinen Spaziergang.« Noch einmal setzte sie dieses harmlose Lächeln auf und außerdem den offenen, treuherzigen Blick, der sie zur meist gefürchteten Kartenspielerin in ganz Callisiora gemacht hatte. »Dagegen ist nichts zu haben, oder?«, fügte sie noch hinzu.
Einen Augenblick lang glaubte sie schon, damit durchzukommen. Der Wachmann schien tatsächlich zu zögern.
Myrial im Handkarren! Er lässt mich doch wohl nicht gehen, oder?
Das wäre sogar noch besser, als sie zu hoffen gewagt hätte. Wenn sie nur aus dem Haus käme, könnte sie nach Veldan suchen. Das wäre ein noch besserer Plan, auch wenn es bedeutete, dass Zavahl fürs Erste hier bleiben musste.
Aber nein, der Mann schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, Oma. Ich habe Befehl vom Archimandriten, dafür zu sorgen, dass du und dein Freund hier bleiben.«
Toulac machte große Augen. »Ist
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