Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
flüchtig, aber trotzdem gegenwärtig. Allmählich beeinflusste er die Gedanken der einfachen Kreatur und vermischte beide Bilder, bis Zuneigung und Vertrauen des Tieres ihm in demselben Maße galten wie der Besitzerin.
Blank nahm sich noch ein wenig Zeit – gerade so viel, wie er meinte, erübrigen zu können – und striegelte das Schlachtross und sprach dabei fortwährend freundlich auf es ein, um es mit der neuen Stimme und dem Geruch vertraut zu machen. Das Zaumzeug fand er ebenfalls im Haus, wo es sicherheitshalber hing, und machte das Pferd reisefertig. Für sich selbst brauchte er viel weniger Zeit, da sein Besitz gering war, aber er füllte seine Wasserflasche, suchte sich ein Paar wollene Socken und abgetragene Lederhandschuhe aus einer Truhe. Ein paar dicke, warme Decken aus dem Bett der alten Frau vervollständigten seine Ausrüstung. Den Salbentopf steckte er ein und füllte einen kleinen Sack mit Getreide für das Pferd. Auf die eigene Verpflegung würde er unglücklicherweise noch warten müssen. Aber er würde es dennoch schaffen. Er hatte schon einmal hungern müssen und keinen großen Schaden genommen.
Nachdem er seine spärliche Habe hinter dem Sattel festgeschnallt hatte, führte er das Pferd aus der Scheune. Draußen im Hof saß er vorsichtig auf und wartete ganz ruhig, dass das Tier ihn annehmen würde. Innerlich hätte er vor Ungeduld aufheulen mögen, doch er wusste natürlich, dass all diese zusätzlichen Verzögerungen notwendig waren, und gab sich die größte Mühe, das feinfühlige Ross seinen Ärger nicht merken zu lassen.
Einen Augenblick lang stand es angespannt da und legte die Ohren an, während das Altvertraute mit dem neu Eingepflanzten im Widerstreit lag. Blank griff noch einmal in seine Gedanken ein und stärkte die neue Bindung. Dann schüttelte das Tier die Mähne und entspannte sich. Er wusste, dass er gewonnen hatte.
»Gut, mein Junge, auf geht’s.« Er lenkte das Schlachtross auf den Weg zum Pass, und seine Laune hob sich mit jedem Schritt. Es war ein gutes Gefühl, wieder Jagd auf seine Beute zu machen und dabei ein so prächtiges Pferd unter sich zu haben. Der feine Spott, dass er Toulacs eigenes Pferd benutzte, um sie zu verfolgen, entging ihm nicht. »Damit sind wir quitt, alte Schlampe«, murmelte er. »Du hast mir Zavahl genommen, ich habe dir dein Pferd gestohlen.« Er hatte bereits beschlossen, das Tier zu behalten. Es blieb noch genug Zeit, um an dessen Bewusstsein herumzubasteln, bevor er die beiden Frauen einholte, und dann würde er sein alleiniger Herr sein.
Ein Stück bergauf kam er an die Stelle, wo der Erdrutsch stattgefunden hatte. Der tote Drachenkörper lag noch dort, und der Anblick brachte seine Gedanken wieder auf den früheren Hierarchen zurück.
Ich bin dir auf der Spur, Zavahl. Bald werde ich dich finden, und dann …
Doch er war überrascht, wie wenig Boshaftigkeit er seinetwegen noch aufbieten konnte. Nach den Ereignissen des vergangenen Abends war Zavahl in der Rangfolge seiner Ziele weit nach unten gerutscht. Blanks Gedanken waren auf Gendival gerichtet, und auf die Führerschaft über den Schattenbund.
Als er an dem schmalen Seitental vorbeiritt, warf er einen Blick in die Schlucht und auf den Fluss weit unten, der an dieser Stelle durch einen Engpass rauschte. Mit einem Ausruf zügelte er den Grauen und stellte sich in den Steigbügeln auf, um mehr sehen zu können. Bäume, Felsblöcke, Schlamm und Geröll der Erdlawine blockierten das Bett, und sicherlich war noch dazugekommen, was der angeschwollene Fluss an Treibholz mit sich führte, bis sich ein Gewirr aus Ästen quer zur Strömung gelegt hatte und nur noch ein Rinnsal hindurchließ. Der Staudamm muss sich nach dem Erdrutsch gebildet haben, dachte er verblüfft. Vorher war die Strömung sicher nicht so stark gewesen. Aber inzwischen … Er schaute zu, wie das gestaute Wasser vor der Barriere wirbelte und schäumte. In absehbarer Zeit würde der Druck den Damm brechen, und dann würde das gesamte Wasser in einer einzigen gewaltigen Woge zu Tal gehen.
Blank spähte zum Himmel. Die Wolken hingen tief und waren dunkel, sie trugen eine schwere Last. Aus dem Nieseln war bereits wieder starker, dichter Regen geworden, und es fing an zu stürmen. Der Wind trieb die dunklen Wolken vor sich her über den Pass, es versprach noch schlimmer zu werden. Blank stellte sich vor, wie sich das Wasser über die Ebene ergoss und gegen die Mauern und Brücken von Tiarond brandete. Das wäre
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