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Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines

Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines

Titel: Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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darin erkennen.«
    »Du hast also von meinen Zweifeln die ganze Zeit über gewusst«, stellte Kalt fest.
    Er hatte geglaubt, seine Furcht gut zu verbergen, aber wie gewöhnlich hatte der Meister geradewegs durch seine Maske geschaut.
    »Mein lieber Junge, vom Anbeginn aller Zeiten hat jeder Überbringer, der zu Recht einer genannt wird, dasselbe empfunden wie du. Aber der Schlüssel zum wahren Verständnis ist die Erfahrung. Heute wirst du auf eine harte Probe gestellt, und es wird sich erweisen, ob ich mich in meiner Wahl getäuscht habe oder nicht.«
    »Ich werde mein Bestes tun, Grimm.« Kalt holte tief Luft. »Komm, wir wollen es hinter uns bringen.«
    Sie gingen auf ein langes, niedriges Haus zu, das von den anderen der Siedlung nicht zu unterscheiden war. Die Überbringer hoben die Klappe aus steifem Leder vor dem Eingang hoch und schoben den schweren Wollvorhang beiseite. Drinnen war es sehr dunkel, die schmalen Fensterschlitze ließen kaum Licht herein, und das Feuer war bis auf die Glut heruntergebrannt, als sei es von der Sorge und Verzweiflung erstickt worden, die über dem Raum lag.
    Eine Frau erwartete sie. Ihr Rücken war von der Arbeit gebeugt, das Haar begann, grau zu werden. Kalt bemerkte, wie sie ängstlich wegblickte, als sie eintraten, und einen Moment lang betrachtete er sich mit ihren Augen. Sie sah nur die Totenschädel, die den Überbringern etwas Unpersönliches und Drohendes gaben. Grimms klugen, freundlichen Blick konnte sie nicht sehen, auch nicht sein zerfurchtes Gesicht oder die Adlernase und die Lachfalten um Mund und Augen. Sie konnte nichts wissen von seinem mitleidvollen Wesen, das der alte Mann mit Bedacht verschleierte. Hinter Kalts Maske verbargen sich feine Gesichtszüge, denen die Askese bereits anzusehen war, sowie der Ernst, der sich im Lauf der Jahre von seinem Meister auf ihn übertragen hatte. Die Frau würde nicht sehen, wie jung er noch war, und auch nicht, dass er Angst hatte.
    Trotz der abstoßenden Aufgabe der Überbringer neigte die Frau ehrerbietig den Kopf. »Mein Enkel liegt dort drüben, im Nebenraum, gute Herren.« Sie winkte ihnen voranzugehen. Als sie die enge Bettkammer betraten, brauchte Kalt seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht kehrtzumachen, aus dem Haus zu rennen und über die Hügel zu fliehen.
    Das Kind war schon einige Zeit krank. Der kleine Körper und die ausgezehrten Glieder waren zwischen den zerwühlten Decken kaum zu sehen. Das Gesicht war eingefallen und blutleer. Kalt wusste sofort, dass keine Hoffnung bestand, aber er sah seinen Meister an und sträubte sich, es aufzugeben. Grimm schüttelte unmerklich den Kopf.
    Am Bett des Jungen saßen die verängstigten Eltern und wachten über ihn. Sie sahen verweint aus, und ihre Angst vor den grässlichen Gestalten in Umhang und Maske war offensichtlich. Die Mutter, bleich unter einem Wust zerzauster Haarflechten, war beinahe selbst noch ein Kind, dabei war ihr Sohn fünf oder sechs Jahre alt. Der Vater, wenig älter als sie, bekam schon das hagere, wettergegerbte Gesicht eines erfahrenen Kriegers. Er sah Grimm mit flehenden Augen an.
    Der Junge regte sich wimmernd und unterbrach die stumme Szene. Die Augen blickten groß und dunkel in dem schweißüberströmten Gesicht, er verrenkte die Glieder im Todeskampf. Grimm trat einen Schritt auf die Eltern zu. »Kommt«, sagte er sanft, »nehmt Abschied und verlasst das Zimmer. Der Junge leidet große Schmerzen. Lasst ihn los. Es ist Zeit für ihn zu schlafen.«
    Der Vater sah seinen Sohn ein letztes Mal verzweifelt an und ging gehorsam hinaus, doch die Mutter gab ein ersticktes Schluchzen von sich. »Nein!« Dann weinte sie heftig.
    »Du musst«, erwiderte Grimm. »Kannst du nicht begreifen, wie grausam es ist, ihn so dahinsiechen zu lassen?«
    Die Frau biss sich auf die Lippe und nickte. »Ich sehe es ein«, flüsterte sie, »aber ich will bei ihm bleiben. Er wird Angst vor euch haben. Ich will ihn nicht allein mit Fremden auf seine Reise gehen lassen – mit so Furcht erregenden Fremden.«
    Der alte Überbringer blickte sie fest an. »Bist du sicher, es ertragen zu können? Du wirst deine ganze Kraft brauchen, denn du darfst deine Trauer nicht vor ihm zeigen. Das würde sein Hinscheiden nur schwerer machen.«
    Die junge Frau straffte die Schultern. »Ich bin die Tochter von Kriegern. Ich bin stark genug. Er ist mein einziges Kind, und um seinetwillen werde ich es ertragen.«
    Grimm nickte. »Dann soll es so sein.« Er setzte die Mutter an eine Seite des

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