Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
können, ohne sich vorher auszuruhen.
Er verschwendete keine Zeit mit Selbstbezichtigungen. Was geschehen war, war geschehen. Viel wichtiger war, das Feuer wieder in Gang zu bringen. Denn inzwischen war es ziemlich kalt geworden. Stöhnend rollte er herum, um sich aus dem Kaminvorleger zu wickeln, kniete sich vor die Feuerstelle und machte sich an die Arbeit.
Es war weniger Glut übrig als am vorigen Abend, aber Blank war diesmal nicht ungeschickt vor Kälte und Erschöpfung, und bald züngelte die erste Flamme an den neu aufgeschichteten Scheiten. Als das Feuer in den Kamin hinaufloderte, besah er seine Verletzungen, die er bei dem ärgerlichen Sturz erlitten hatte. Er fand etliche Kratzer und Abschürfungen sowie Risse in der Kleidung, und er hatte Schmerzen, als wäre er von einer Riesenfaust zerdrückt worden. Aber er wusste genau, dass er großes Glück gehabt hatte. Schnitte und Prellungen würden heilen, doch ebenso gut könnte er jetzt zerschmettert am Fuß des Abhangs liegen, als Festmahl für Würmer und Krähen. Oder, was noch schlimmer wäre, er könnte mit gebrochenen Gliedern dort liegen und einem langsamen, qualvollen Tod entgegensehen.
Doch er war noch immer ziemlich lebendig – und hungrig wie ein Bär. Neben dem Herd hatte er einen Suppentopf stehen sehen. Auf dem kalten Rest schwamm eine dünne Fettschicht. Er rührte zimperlich mit einem Löffel in der grauen Brühe und fürchtete, was da zum Vorschein kommen würde. Seine Männer dürften wie ein Schwarm Heuschrecken über die Küche hergefallen sein und alles Genießbare vertilgt haben. Dass sie diese Suppe stehengelassen hatten, verhieß nichts Gutes. Die Suppe – vermutlich musste man es so nennen – enthielt faserige Fleischabfälle und große, unverdaulich aussehende Stücke Wurzelgemüse. Blank stippte versuchsweise einen Finger hinein, kostete und zog eine Grimasse. Hatten seine Männer den Topf als Urinal benutzt, weil sie nicht in die kalte Winternacht hinaus wollten? Er würde es ihnen glatt zutrauen. Der Geschmack war jedenfalls so widerwärtig, dass es kaum zu beschreiben war. Trotzdem hängte er den Topf über das Feuer und wartete geduldig, dass sein Inhalt sich erwärmte, während ihm der Magen knurrte. Als es so weit war, verschlang er gierig, was der Topf hergab, und wünschte, es wäre mehr.
Dann entdeckte er in der Küche die Wasserleitung, der er gehörige Anerkennung zollte und sich ausgiebig bediente. Nachdem er sich satt getrunken hatte, machte er sich daran, seine Verletzungen zu säubern, und kramte so lange in Toulacs Hinterlassenschaft, bis er die Allzwecksalbe gefunden hatte, die von den gemeinen Leuten benutzt wurde. Als er seine Kratzer damit eingerieben hatte, wandte er sich seinen Kleidern zu, bürstete den Schmutz aus und flickte die größten Risse mit Nadel und Faden. Unglücklicherweise konnte er wenig für seine Stiefel tun. Er stopfte Lederreste und Stofffetzen in die Spitzen und hoffte das Beste.
Nachdem er also geschlafen und mehr schlecht als recht gegessen hatte, begann sich seine gewöhnlich gute Verfassung wieder einzustellen. Er fühlte sich schon viel besser, und sein Verstand arbeitete heftig. Es konnte keine andere Entscheidung geben als die, die er in der vergangenen Nacht gefällt hatte. Da seine Männer offen revoltiert hatten, würde auch Gilarra ihn nicht mehr in die Stadt hineinlassen. Er hatte ihr Callisioras Thron verschafft, also war er für ihre weiteren Zwecke überflüssig, und sie würde ihn – zu Recht, wie er zugeben musste – als Bedrohung empfinden. Das andere Hindernis auf seinem Weg war die abscheuliche Horde, die die Stadt angegriffen hatte. Er konnte sich nicht entsinnen, während seiner Zeit als Wissenshüter jemals dieser besonderen Spezies begegnet zu sein, aber soviel war gewiss, dass die Eindringlinge sich über ganz Callisiora ausbreiten würden, und nichts sie daran würde hindern können. Das war schlecht, denn solange diese unersättlichen Raubvögel Tiarond besetzt hielten, würde er sich nicht in die Zitadelle schleichen oder durch Bestechung hineingelangen können, um den gefangenen Luftgeist zu holen, der als Unterpfand so gut in seinen Plan gepasst hatte.
Nein, er musste Callisiora fürs Erste aufgeben und stattdessen nach Gendival zurückkehren. Er würde sich hoffentlich versteckt halten können, vor allem vor Cergorn, bis er einen Kniff fand, wie die Krise zu seinem Vorteil zu nutzen war. Irgendetwas würde sich ergeben. Das war immer so. Außerdem
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