Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
zu sehen. Kalt blickte sich an diesem wilden, einsamen Ort um und ein Schauder durchlief ihn. »Bist du sicher, dass der Archimandrit gesagt hat, wir sollen ihn in dieser verlassenen Gegend treffen?«
Kher drehte sich nach ihm um. »Nicht genau hier. Wir haben noch ein kleines Stück zu reiten, um den See herum und den Berghang hinauf.« Er zuckte die Achseln. »Frag mich nicht, warum. Ich kenne Amaurn nicht. Er ist erst seit ein paar Tagen hier, ich habe aber gehört, dass er vor vielen Jahren Wissenshüter in Gendival gewesen ist und nach einem Streit mit Cergorn, der vor ihm Archimandrit war, fliehen musste.«
Kalt nickte. »Ich weiß. Grimm hat es mir erzählt. Amaurn hat damals erfolglos nach der Macht gegriffen, und Cergorn verurteilte ihn zum Tode. Ein anderer Wissenshüter, eine Frau, soviel ich weiß, half ihm zu entkommen, und er hat sich seitdem in Callisiora versteckt gehalten und auf die Gelegenheit zur Rückkehr gewartet. Die ganze Zeit über hat er im Schattenbund heimliche Unterstützer gehabt, wie auch meinen Lehrer.«
Der Wissenshüter zog die Brauen hoch. »Für einen Außenstehenden weißt du recht viel. Ich habe nicht …«
Ein lautes Brüllen schnitt ihm das Wort ab. Das Wasser des unteren Sees wurde ein schäumendes Gebrodel, hohe Wellen wuschen über das sumpfige Ufer und wirbelten um die Beine der erschrockenen Pferde. Unter lautem Wiehern riss sich die braune Stute los und rannte mit großen Sprüngen den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dann galoppierte sie auf die Siedlung zu – aber der Überbringer hatte keine Augen für sie. Er verbiss sich seinen Schreckensschrei, als ein grässlicher Kopf mit einer riesigen Schnauze und behängt mit Seegras triefend aus dem Wasser stieß und sich auf einem nicht enden wollenden Hals höher und höher zum Himmel reckte. Dann tauchte ein glänzender, dunkelgrüner Leib aus dem Wasser auf wie eine verwunschene Insel.
»Oh, Mist«, murmelte Kher. »Es ist der Afanc.«
»Wer hatte die Stirn, dieses Scheusal in unser Tal zu bringen?« Die Frage wurde mit solchem Ungestüm übermittelt, dass Kalt meinte, ihm müsse der Kopf platzen. Nur sein sehnlicher Wunsch, sich eines künftigen Wissenshüters würdig zu erweisen, hielt ihn davon ab, seinem Pferd die Zügel schießen zu lassen und mit ihm zurück nach Callisiora zu jagen. Unter Aufbietung seines ganzen Willens gelang es ihm, sein Entsetzen, sein scheuendes Tier und Grimms Pferd mit dem gefesselten Ak’Zahar auf dem Rücken zu beherrschen.
Kher begegnete dem Ungeheuer aus dem See mit einem Stirnrunzeln, das vielleicht Verärgerung oder Besorgnis oder beides anzeigte. Er sprach es mittels Gedankenübertragung an. »Ehrwürdiger Wissenshüter Bastiar, du hast nicht das Recht uns aufzuhalten. Wir wurden zum Archimandriten gerufen, und wir haben uns bereits verspätet.«
Kalt war verblüfft. Dieses – dieses Ungeheuer war ein Wissenshüter? Grimm hatte zwar angedeutet, es gebe außer Menschen noch andere Wesen im Schattenbund, aber er hatte ihn nicht im Mindesten auf so etwas vorbereitet!
Khers Antwort gefiel Bastiar offensichtlich nicht. Seine Augen bekamen einen kalten Schimmer, er senkte den Kopf schwungvoll zu den beiden Männern herab und hüllte sie in eine Wolke stinkenden Atems. »Und hat dieser aufrührerische Emporkömmling dich auch aufgefordert, einen tödlichen Räuber durch die Schleierwand zu bringen? Antworte mir!«
»Ich muss zu allererst dem Archimandriten Rede und Antwort stehen, und er hat mir befohlen, diesen Fremden und den Ak’Zahar sofort zu ihm zu bringen. Er hat nicht gesagt, ich dürfe unterwegs stehen bleiben und ein bisschen plaudern«, entgegnete Kher gelassen. »Im Schattenbund spricht sich alles schnell herum, und es ist kein Geheimnis, dass du ein Feind Amaurns bist. Wenn er dir seine Gedanken und Pläne mitteilen möchte, wird er das zweifellos tun.«
»Wie kannst du es wagen, so mit einem Altgedienten zu sprechen!« Bastiar bog den Hals herab und versperrte den Reitern den Weg. »Ihr geht zu dem Aufrührer, wenn ich mit euch fertig bin, und nicht einen Augenblick eher. Ich werde meine Antwort bekommen, Wissenshüter Kher.« Er senkte die Stimme und bekam einen listigen Blick. »Wenn ihr zum Archimandriten wollt, was habt ihr dann hier oben am See zu suchen? Wo ist Amaurn, dass ihr ihn nicht in der Siedlung aufsucht?« Der fürchterliche Kopf schwang zu Kalt herum. »Du wirst mir Auskunft geben, Fremder!«
Dem Überbringer stockte der Atem. Dann bemerkte er
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