Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
gleich zu viel Angst einjagen, oder? Das wollen wir ganz unserem geschätzten Archimandriten überlassen.«
Amaurn winkte ihn hinaus. »Mach, dass du hinaus kommst, du Geck.« Dann wandte er sich an Kyrre. »In der Zwischenzeit solltest du dich beeilen. So sehr ich es auch wünschte, wir können die Behandlung der Wunde nicht ewig aufschieben.«
Vor dem Gasthof hielt Kher inne und lauschte eindeutig einer nur an ihn gerichteten Gedankenbotschaft. »Der Archimandrit befindet sich gerade am anderen Ende des Tals. Wir müssen die Siedlung umgehen und dorthin reiten«, teilte er dem Überbringer mit. »Deinen Gefangenen werden wir mitnehmen müssen, und ich habe nicht die Absicht, ihn auf dem Rücken den Hügel hinaufzutragen.«
Kalt hatte nichts dagegen zu reiten. Er war so aufgeregt, dass seine Beine ihn ohnehin nicht getragen hätten.
Ach, wie wünschte ich, du wärst jetzt hier, Grimm! Wir hatten uns diesen Tag so gänzlich anders vorgestellt. Es sollte deine freudige Rückkehr werden, nach der du dich so lange gesehnt hast. Wird das je meine Heimat werden können, da du nun nicht mehr bist? Werden mich diese Leute ohne deine Unterstützung überhaupt anerkennen? Und was tue ich, wenn nicht?
Inzwischen hatten sie das Ende des Dorfes erreicht und ritten über eine Steinbrücke und ein schnell fließendes Flüsschen. Auf der anderen Seite stand eine verfallene Mauer und eine kurze Treppe führte zu einem Torweg, der früher bestimmt einmal überdacht gewesen war, doch nach dem Moos und den verwitterten Steinen zu urteilen, hatte er sein Dach seit langem verloren. »Der Torweg führt zur Siedlung«, sagte Kher. »Für Pferde ist der Weg leichter, wenn man der Mauer nach links folgt. Wir nehmen den Weg um den See herum.«
Hinter dem Torweg wandten sie sich nach rechts und folgten einer schmalen Straße am Fluss entlang, die an einer alten Mühle vorbeiführte. Nach und nach schrumpfte die Mauer längs der Straße zu einer niedrigen und neueren Begrenzung, die aus herabgefallenen Steinen der Torruine gefertigt war. Hinter dem Mäuerchen wuchsen Bäume, und zwischen den Stämmen hindurch hatte man hin und wieder einen Blick auf herrliches, glasklares Wasser. »Das ist der untere See«, sagte Kher. »Wenn du über die Schulter schaust, kannst du ein bisschen von der Siedlung am Ufer sehen, und über den Bäumen den Kundschafterturm.«
Gehorsam drehte Kalt sich um und sah den runden Turm, der ihm schon früher aufgefallen war, und eine Reihe niedriger Steinhäuser, die sich um den Fuß drängten. »Warum reiten wir von der Siedlung fort?«, fragte er.
»Ich habe doch gesagt, dass wir Amaurn woanders treffen sollen.«
»Ja, aber du hast nicht erzählt, warum.«
Es trat eine Pause ein, solange Kher mit Scalls Stute rangelte, die er am Zügel mitführte. Aus irgendeinem Grund wollte sie sich in die entgegengesetzte Richtung davonmachen. Nach einem kurzen Tauziehen hatte er sie soweit, dass sie ihm gehorsam folgte, und er wandte sich seiner Antwort zu. »Der Archimandrit erwartet uns in der Behausung von Maskulu, einem der altgedienten Wissenshüter. Der Himmel weiß, warum – sie liegt unter der Erde und ist kalt, dunkel und feucht und verflucht unbequem. Ganz gewiss kein Ort, wo ich einen Neuankömmling empfangen würde.« Er zuckte die Achseln. »Vielleicht will er dich und deinen Ak’Zahar aus irgendeinem Grund eine Zeit lang geheim halten. Was wohlgemerkt ziemlich aussichtslos ist. Wir haben mit dem Viech schon das Dorf durchquert, also weiß es inzwischen die ganze Siedlung.«
Bald hörten die Bäume auf, und zwischen ihnen und dem Seeufer war nichts mehr als ein Stück Sumpfland, und am Wasser wuchs büschelweise Schilf. Der Gesang der Vögel und das Blätterrauschen wurde abgelöst vom Knistern des Windes in Schilf und Segge, dem Plantschen und Rufen der Enten am seichten Ufer und dem Quaken der Frösche.
Der Fluss nahm eine scharfe Biegung und floss zum See, sodass sie eine weitere Brücke überqueren mussten. Dort endete die Mauer, und auf der anderen Seite verließen sie die Straße und hielten auf die weite stille Wasserfläche zu. Sie waren nun am oberen Ende des Sees angekommen, wo sie einen gewundenen Uferweg nahmen und vorsichtig über den weichen Boden ritten. Überrascht entdeckte Kalt, dass gleich hinter dem See ein zweiter lag, und der Wissenshüter ritt mit ihm über eine Landenge aus Feuchtland und überschwemmten Wiesen zwischen beiden Gewässern hindurch.
Es war keine Menschenseele
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