Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
aus den Augenwinkeln, wie Kher den Vorgang aufmerksam und unbehaglich verfolgte, und sein Verstand begann fieberhaft zu arbeiten. Wenn dieses Ungeheuer ein Wissenshüter war und ein altgedienter noch dazu, würde er kaum wagen, ihn körperlich anzugreifen, so dachte sich Kalt. Aber das hieß nicht, dass er und sein Begleiter nicht in übler Bedrängnis waren. Von seiner Antwort würde viel abhängen, und hier wurde zweifelsfrei seine Treue zu Grimms altem Freund, dem neuen Archimandriten, auf die Probe gestellt, sowie seine Eignung als Mitglied des Schattenbundes.
»Nun?«, knurrte das Ungeheuer. »Wo ist Amaurn und warum hat er dich gerufen?« Der massige Kopf kam noch ein Stück näher. Einen Moment lang dachte Kalt daran, sich dumm zu stellen und vorzugeben, er verstünde keine Gedankensprache. Aber er begriff, dass solch ein Betrug auf ihn zurückfallen könnte, sobald es darum ging, dem Schattenbund beizutreten. Stattdessen verbarg er seine Angst so gut er konnte und blickte den Furcht einflößenden Wissenshüter scheinbar unbekümmert an. »Warum fragst du mich? Kher hat mich soeben erst hierher gebracht. Wie soll ich mich hier auskennen?«
Bastiar schwenkte zu Kher hin. »Und wer ist dieser Neuling überhaupt? Woher kommt er und warum hast du ihn hergebracht?«
Kher nahm sich offenbar ein Beispiel an Kalt. »Weil der Archimandrit es mir befohlen hat«, antwortete er.
Der Afanc knurrte drohend, aber ehe er sich dazu äußern konnte, geschah etwas. Sein Schlangenhals schoss in die Höhe und der riesige Kopf schien zu lauschen. Falls der Wissenshüter eine Botschaft empfing, konnte Kalt jedenfalls nichts davon hören. Jedoch zeigte, was immer es war, große Wirkung, denn Bastiar zog sich unter unwilligem Fauchen, von dem ihnen die Ohren sausten, in den See zurück und tauchte unter. »Wir sprechen uns noch«, versprach er drohend, dann verschwand er.
Allmählich beruhigten sich die Pferde und auch die Menschen. Kher stieß erleichtert die Luft aus, und Kalt schluckte schwer. »Was meinst du, was geschehen ist? Warum hat er so plötzlich von uns abgelassen?«
»Während er sich mit dir beschäftigt hat, habe ich den Archimandriten um Hilfe gebeten«, erzählte Kher. »Er klang ein bisschen gepresst, sagte aber, er werde ein Wort mit Bastiar reden.« Er zog die Brauen hoch. »Ich hätte liebend gern gehört, was er zu ihm gesagt hat.«
»Solange er es nicht zu mir sagt«, ergänzte Kalt. »Ich möchte bei einem Mann, der ein Geschöpf dieser Größe einschüchtern kann, nicht auf die falsche Seite geraten.«
»Ich auch nicht«, stimmte Kher zu. »Komm, lass uns von hier fortreiten, ehe der Afanc seine Meinung ändert und zurückkommt.«
Sie hielten sich so weit wie möglich vom Ufer fern und umrundeten das obere Ende des Sees. Nicht nur Kalt war erleichtert, als sie auf der anderen Talseite angelangt waren und über einen unebenen Pfad den felsigen Berghang hinaufstiegen. Die steilen Hänge auf dieser Seite des Tals waren weiter unten dicht bewaldet, eine Biegung des Weges führte sie aber in die entgegengesetzte Richtung zu dem anderen See hin und durch Brombeergestrüpp und Stechginsterbüsche, vereinzelt auch Dornensträucher. Nach und nach wurde der Abhang schroffer, bis sie an einem niedrigen Felsen entlangkletterten. Kher stieg vom Pferd, bedeutete Kalt, das Gleiche zu tun, und begann an einer Stelle gegen den Fels zu drücken, die sich von anderen nicht unterschied. Eine Felsplatte schwenkte ein Stück weit auf und gab eine schmale Öffnung frei. »Hier müssen wir hinein«, sagte der Wissenshüter. »Wir werden -«
Plötzlich unterbrach ihn eine Stimme, die auch Kalt in seinem Innern hörte. »Danke, Wissenshüter Kher, dass du Kalt hierher gebracht hast. Würdest du bitte die Pferde zu den Ställen bringen, ehe du dich zur Ruhe begibst? Und du, Kalt, wirst mit deinem, äh, Gefangenen einen Augenblick warten. Es wird dich jemand holen kommen.«
Kher schaute seinen Gefährten an und zuckte hilflos die Achseln. »Tut mir Leid. Es scheint, ich bin entlassen. Schade – ich hätte zu gern einen Blick auf den geheimnisvollen neuen Archimandriten geworfen.« Er half Kalt, den gefesselten Ak’Zahar vom Sattel loszubinden, dann legten sie ihn zwischen sich auf den Boden. Der Gefangene hatte die ganze Zeit über Essen und Trinken verweigert und musste inzwischen die Folgen der Entbehrung spüren, dennoch war er sehr kampfeslustig, riss an den Fesseln und schnappte mit seinen spitzen Zähnen nach den
Weitere Kostenlose Bücher