Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
konnten Seriema und Cetain nicht bei Arcan sein, dazu war zu wenig Zeit gewesen. Und vermutlich würden sie die Sache vorher ein wenig durchsprechen wollen. Er hoffte, dass Seriema ihm die Tat trotz des augenfälligen Beweises nicht so recht zutraute.
Ich kann es selbst noch kaum glauben.
Dennoch würden sie nicht lange brauchen, um zu einem Entschluss zu kommen. Bald würden sie zum Häuptling gehen. Er hätte noch eine kurze Frist, solange sie mit Arcan sprachen – dann wäre die Jagd eröffnet. Jedermanns Hand in der Festung wäre gegen ihn erhoben. Presvel sann fieberhaft auf ein Mittel, um sich zu retten. Wenn er jetzt aus der Festung flüchtete, würden Arcans Männer ihn verfolgen, um Rache zu fordern. Sie kannten die Heide viel besser als er, und sie waren die geschickteren Reiter. Sie würden ihn leicht einfangen und, so vermutete er, sich nicht damit aufhalten, ihn zurückzubringen, sondern erklären, es habe ein bedauerliches Unglück gegeben. An Ort und Stelle würden sie ihn erschlagen und seinen Leichnam den Bussarden überlassen.
Du brauchst eine Geisel.
Die ruhige Stimme seines Verstandes bezwang die wilde Angst des gehetzten Tieres. Presvel blieb wie angewurzelt stehen. Natürlich! Warum war ihm das nicht eher eingefallen? Wenn er eine Geisel bei sich hätte, wie könnten sie es dann noch wagen, ihm zu nahe zu kommen? Ein vager Plan begann heraufzudämmern und nahm in seinem Kopf Gestalt an. Er könnte es sogar zur Stadt zurück schaffen und sich in den Tunneln verstecken, die Scall entdeckt hatte. Dort wäre er vor den fliegenden Scheusalen bestimmt sicher.
Blieb nur noch die Wahl des Opfers. Doch es brauchte wenig Überlegung, um zu entscheiden, wen er mitnehmen sollte. Tormons Tochter natürlich. Sie war noch klein, also schwächer als er. Er würde sie mühelos an sich reißen können und sie war leicht einzuschüchtern. Außerdem war das eine sehr befriedigende Art, es diesem unausstehlichen Hausierer heimzuzahlen und zu zeigen, dass der feine Städter Presvel trotz allem jemand war, mit dem man zu rechnen hatte.
Er wusste, er musste rasch handeln. Er machte kehrt und ging über einen anderen Flur in die Küchenräume. Während des vergangenen Tages war er zum Essen zu unruhig gewesen, darum stand ihm noch eine erkleckliche Menge Vorräte zu. Er nahm sich Haferkuchen, Käse und kaltes Fleisch und wickelte alles in eine abgelegte Schürze, als niemand hinsah. Dann begab er sich, nunmehr eiligen Schrittes, zu den Ställen. Dort angekommen, sattelte er das Tier, das er auf dem Weg von Tiarond geritten hatte, sowie eines der Rottenpferde. Ihm war eingefallen, und vermutlich hatte er das irgendwo gelesen, dass man schneller vorankam, wenn man ein zusätzliches Pferd mitnahm, weil man wechseln konnte, wenn ein Tier müde wurde. Er versteckte seinen Vorrat ihn einem Heuhaufen, ohne zu bemerken, dass der Mann, den er getötet hatte, schon das Gleiche getan hatte, und eilte die Treppe hinauf.
Ein rascher Blick in die große Halle bestätigte ihm, dass Tormon beim Frühstück saß. Das bedeutete, dass sein Balg wahrscheinlich noch im Bett lag. Es war wirklich ein Glücksfall, dass der Vater nicht bei ihr war. Würde Rochalla nach dem Kind sehen? Wenn ja, würde er seinen Plan einfach ein wenig ändern …
Es hatte eine Ewigkeit gedauert, Annas am Abend ins Bett zu bringen. Rochalla hatte ihren Geschichtenvorrat nahezu verbraucht, ehe sie gewahr wurde, dass das Kind sie ärgern wollte, weil es lieber unten bei seinem Vater gesessen und dem Geschichtenerzähler zugehört hätte. Darauf kam es zu einem kurzen Ringen ihrer Willenskräfte, doch am Ende siegte Rochallas Beharrlichkeit.
Heute Morgen lag die Sache nun anders, und Annas hatte einfach noch nicht aufwachen wollen. Rochalla hatte angeboten, bei ihr zu bleiben, damit Tormon zum Frühstück gehen und dann nach den Pferden sehen könne. Jetzt wo Scall fort war, fehlte ihm dessen Hilfe, und er brauchte mehr Zeit für die zusätzliche Arbeit.
Rochalla war es zu guter Letzt gelungen, das Kind aufzuwecken, und half ihm soeben unter den üblichen Fragen beim Anziehen. Es war schwer, geduldig zu bleiben und gut gelaunt zu antworten. Sie fühlte sich heute Morgen sehr müde. Annas war ein forderndes und sehr lebhaftes Kind, und man musste ständig auf sie Acht geben. Zum Teil rührte das natürlich daher, dass sie sich noch nicht mit dem Tod ihrer Mutter abgefunden hatte. Dass nun noch jemand aus ihrem engsten Kreis plötzlich verschwunden war,
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