Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
die Arbeit hier für eine Weile übernehmen?«, fragte sie ihren Gehilfen. »Ich nehme mir Agella, dann gehen wir sie rasch suchen.«
Shelon zögerte. »Meinst du – meinst du, wir sollten die Gottesschwerter bitten, nach ihr zu suchen?«
Kaita seufzte. »Um der allgemeinen Stimmung willen hatte ich gehofft, niemanden einweihen zu müssen. Aber du hast Recht. Corvin ist ein nüchtern denkender Mann, und er scheint in Abwesenheit des Hauptmanns die Verantwortung übernommen zu haben. Ich werde ihn fragen, ob er ein paar verschwiegene Männer für eine Suche abstellen kann.«
Ein besorgter Corvin sagte Kaita zu, seine Männer aufzuteilen und die einen durch die Vorratshöhlen hinauf zum Ausgang auf dem Gebirge und die anderen in die ausgedehnten unteren Höhlen zu schicken. Auch Agella half mehr als bereitwillig, doch die Heilerin bedauerte, sie überhaupt bitten zu müssen. Die Schmiedemeisterin war dünn geworden und sah mit ihrem eingefallenen Gesicht schwach und zerbrechlich aus. Seit Fergists Tod hatte sie sich entschlossen in die Arbeit gestürzt, aber Kaita wusste, dass ihr das Herz blutete.
Wenn Gilarra diese unbeugsame Tapferkeit besäße, bräuchten wir jetzt nicht unsere wertvolle Zeit damit zu vergeuden, nach ihr zu suchen.
Die beiden Frauen gingen durch die verbliebenen Flüchtlinge und versuchten so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen – was durch den Umstand, dass jeder die Heilerin sprechen wollte, sehr erschwert wurde. Von der Hierarchin war keine Spur, doch als sie an dem Silberfiligran vorbeikamen, merkte Kaita, dass es einen Ort gab, wo sie noch nicht nachgesehen hatten. »Komm.« Sie zog die Schmiedemeisterin am Arm. »Lass uns schauen, ob sie dort ist.«
»Da dürfen wir nicht rein!« Agella hielt sie zurück. »Das ist das Allerheiligste! Das ist verboten! Nur die Hierarchin darf durch das Gitter treten.«
»Ach, Quatsch!«, schnauzte Kaita. »Meines Wissens befinden sich mindestens vier Leute da unten, die nicht Hierarch sind, einschließlich Hauptmann Galveron.«
Agella sperrte den Mund auf. »Wie gut, dass das nicht jeder weiß«, sagte sie leise. »Die Leute würden zwangsläufig die Entweihung des Allerheiligsten mit dieser verdammten Seuche in Verbindung bringen. Du weißt, wie sie sind.«
»Ja, ich weiß. Dumm sind sie«, antwortete Kaita und gab der Schmiedin im Stillen Recht. »Doch das ändert nichts«, fügte sie entschlossen hinzu. »Wenn Gilarra da drin ist, müssen wir sie finden. Sie ist jetzt nicht bei allzu klarem Verstand, und ich weiß nicht, was sie tun wird. Wenn du nicht mitkommen willst, macht es mir nichts aus, allein zu gehen.«
Agella zuckte die Achseln. »Wenn du so entschlossen bist, komme ich mit. Los, bringen wir es hinter uns.«
Kaita nickte. Doch als sie den heiligen Ort tatsächlich betreten sollte, kam sie nicht umhin, an den Hauptmann zu denken, der vor ihr hineingegangen und nicht wieder zurückgekehrt war.
Nicht ich sollte das hier tun, und Agella auch nicht. Sie hat schon genug zu verkraften. Ach, Galveron – wo bist du? Du bist verschwunden, wo wir dich gerade am dringendsten brauchen.
Beide Frauen waren vernünftig, den alltäglichen Dingen zugewandt, standen mit beiden Beinen auf der Erde und waren für fromme Ergriffenheit kaum anfällig. Dennoch mussten sie sich eingestehen, dass sie ein Schauder der Ehrfurcht überlief, als sie durch das Gitter gingen. In dem schwarzen Raum stürzte der Boden unter ihnen weg, sodass sie sich aneinander klammerten und Agella fürchterlich fluchte. Da sie aus der Überlegung eines Augenblicks gehandelt hatten, hatte keine eine Lampe bei sich, und als die unheimliche Bewegung aussetzte und die Tür aufsprang, waren sie froh, weiter hinten im Dunkeln den Schein einer kleinen Laterne zu sehen. Die Erleichterung währte jedoch nur kurz. Sobald sie auf die offene Plattform traten, sahen sie die schmale geländerlose Brücke, die sich über einen Abgrund spannte. Auf der anderen Seite gefährlich dicht an der Kante einer weiteren Plattform stand die Hierarchin. Wie sie dastand, ließ deutlich erkennen, dass sie ihren Mut sammelte, um hinunterzuspringen.
Kaitas Gedanken rasten. Ihre erste Eingebung war, laut zu rufen, doch auf keinen Fall wollte sie Gilarra vor Schreck stürzen sehen. Darum ging sie bis an den Rand und sprach sie sanft an. »Wenn du wirklich springen willst, Gilarra, so ist das deine Entscheidung, doch du solltest vielleicht vorher ein bisschen darüber nachdenken. Die Entscheidung ist
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