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Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit

Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit

Titel: Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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Rückweg in den Tempel war sie außer sich gewesen, blind vor Tränen hatte sie den Weg vor ihren Füßen nicht erkennen können. Ein mitfühlender Soldat, der selbst um zwei Kinder trauerte, hatte ihr helfen müssen. Offenbar besorgt, dass der Anblick der aufgelösten Hierarchin die Flüchtlinge noch weiter entmutigen könnte, hatte eine völlig übermüdete Kaita sie auf der Steinbank hinter dem Krankenzimmer ausruhen lassen, wo sie und Galveron ihre geheimen Gespräche zu führen pflegten. Shelon war ein wenig später mit einem warmen, bitteren Getränk gekommen, das sie beruhigen sollte. Da sie sich nach Erlösung sehnte, hatte sie es rasch ausgetrunken. Dann hatte der Heiler den Becher genommen und sie allein gelassen.
    Kaitas Trank brachte ihr eine träumerische Gelassenheit, die ihre Trauer dämpfte und ihr nachzudenken erlaubte. Dass die Arznei auch ihren Verstand dämpfen könnte, erwog sie überhaupt nicht. Wenn sie an die vergangenen Tage zurückdachte, kam es ihr vor, als hätte sie auf ganzer Linie versagt, als Hierarchin wie als Lebensgefährtin und Mutter. Niemand war da, um ihr entgegenzuhalten, dass sie ein Unheil bewältigen wollte, wie es in der Geschichte Tiaronds noch nie da gewesen war. Niemand erinnerte sie daran, dass sie erst seit wenigen Tagen Hierarchin war, dass ein Anfänger unvermeidlich Fehler machte, die sich erst durch Erfahrung verloren. Niemand war da, um Anteil zu nehmen oder zu trösten. Zu spät hatte sie begriffen, was Zavahl immer gewusst hatte: dass der Hierarch von Callisiora einsamer war als der gemeinste Dieb auf der Gasse oder der niedrigste Bauer auf dem Acker.
    Sie, die sie Zavahls Herrschaft immer schlecht geredet hatte, war endlich an die Reihe gekommen und gleich eine noch schlimmere Herrscherin geworden. Als Führerin des Volkes war sie nutzlos und auf Myrial hatte sie nicht mehr Einfluss als ihr Vorgänger. Zu spät erkannte sie, dass der Ring für sie zu einer Besessenheit geworden war und sie für ihre eigenen Fehler blind gemacht hatte.
    Es war Zeit, der grausamen Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Sie war eine schreckliche Enttäuschung, und daran gab es nichts zu ändern.
    Oder doch?
    Eine Sache gibt es doch. Der Feigling Zavahl hat das Große Opfer nicht vollzogen. Wenn ich es an seiner Stelle auf mich nähme, würde Myrial unsere Gebete vielleicht wieder erhören.
    Niemand war da, um sie davon abzubringen. Als sie durch Kaitas Krankenzimmer in den hinteren Tempel ging, wurde sie nicht einmal bemerkt. Das Treiben ringsumher berührte sie nicht, nicht das Leben und nicht die Ängste und die Drangsal ihres Volkes. Als wäre sie schon tot und kehrte als rastloser Geist in ihren Tempel zurück.
    Es gab keine Frage, auf welche Weise der Plan auszuführen war oder an welchem Ort sie das Opfer vollziehen würde. Nur eine Stelle war angemessen. Falls die Leute bemerkten, wie sie hinter das Silberfiligran schlüpfte, das den Eingang zum Allerheiligsten verbarg, so äußerte sich jedenfalls niemand dazu. Sie war schließlich die Hierarchin. Es war nur natürlich, dass sie dorthin ging.
    Auf der hohen Plattform vor dem dunklen Auge hielt sie inne. Bevor sie sprang, sprach sie ein letztes, inniges Gebet, in dem sie Myrial anflehte, ihr Opfer anzunehmen und ihrem belagerten Volk zu helfen.
     
    Kaita wusste nicht, dass Gilarra vermisst wurde, bis Shelon zu ihr kam. Wie er der Heilerin berichtete, hatte er die Soldaten bei einem weiteren grässlichen Gang durch die Tunnel begleitet und dabei festgestellt, dass die Steinbank leer war. An einem gewöhnlichen Tag hätte er sich nichts dabei gedacht. Für die Hierarchin gab es im Tempel gerade jetzt weiß Gott genug zu tun. Andererseits war es unwahrscheinlich, dass sie nach dem starken Beruhigungsmittel in den nächsten Stunden die Kraft haben würde, sich nützlich zu machen. Da hatte Shelon einen warnenden Stich gespürt, hatte Gilarras Trauer, ihre Erschöpfung und wachsende Verzweiflung und die übermenschliche Verantwortung ihres Amtes zusammengezählt – dann war er zu Kaita gerannt so schnell er konnte.
    Was die Heilerin als Erstes empfand, war Ärger. Hatte sie nicht schon genug zu tun, ohne dass sie den Tempel nach der vermissten Hierarchin durchkämmte? Wie konnte diese Frau es wagen, ihr noch mehr Arbeit und Sorgen aufzubürden? Dann fiel ihr ein, dass Gilarra soeben Mann und Kind verloren hatte. Sie erinnerte sich, wie groß ihr eigener Schmerz um die getötete Evelinden gewesen war, und schämte sich. »Kannst du

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