Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
geschafft. Nun fand sie ihn immerhin zu bewältigen, wenn auch mitnichten angenehm. Ihr taten bald die Beine weh, und sie kam außer Atem. Aber nach all dem Keuchen hinter ihr zu urteilen, war sie nicht die Einzige, die mit dem Aufstieg Mühe hatte, und dadurch fühlte sie sich schon ein wenig besser.
Bis sie schließlich beim Tunnel angelangt waren, dachte Seriema nicht mehr an die Anstrengung. Sie hatte ganz andere Sorgen. Nur zu deutlich war ihr die Sturzflut in Erinnerung, die Tormon, Scall und sie selbst fast das Leben gekostet hätte. Während sie darauf warteten, dass die letzten Krieger zu ihnen aufschlossen, suchte sie ängstlich den Himmel ab. Außer den nassen Schneeschauern kündigte sich kein Niederschlag an – soweit sie sehen konnte. Leider wusste sie so gut wie Rochalla, dass der Himmel über der Hochebene wenig zählte und stattdessen das Wetter im Gebirge über ihr Schicksal entschied.
Dank der Tatsache, dass sie Cetain vor ihrem Aufbruch an den Tunnel erinnert hatte, führten die Rotten Fackeln mit sich. Doch weder der Lichtschein noch die Anwesenheit kräftiger Krieger konnten ihr Gemüt beruhigen. Tormon, dem es einzig um das Leben seiner kleinen Tochter ging, hatte an anderes zu denken, als an Überschwemmungen, und die Rotten konnten sich trotz ihrer Warnung kaum vorstellen, wie plötzlich und mit welcher Macht eine solche Flut eintreten konnte. So blieb alle Sorge darüber ihr überlassen, und sie besorgte das wirklich für alle mehr als ausreichend, wie sie spöttisch dachte.
Einen gleichmäßigen Schritt beibehaltend, stiegen sie durch den Tunnel. Es roch nach feuchtem Gestein und dem beißenden Rauch der Fackeln, und die Flammen flackerten in der starken Zugluft. Der hohle Hufschlag hallte vielfach von den Wänden wider und klang für Seriemas Ohren betäubend laut, da sie angestrengt auf das ferne Brausen lauschte, das eine Flut ankündigen würde. Darum zuckte sie erschrocken zusammen, als Tormon von oben her laut rief: »Seht! Hier flattert etwas! Bei Myrial, es sieht aus wie ein Streifen von Rochallas Kleid!«
Cetain und Seriema drängten sich dicht an den Händler, der mit der Fackel nach oben leuchtete. Es war eindeutig, dass der lange Stoffstreifen an der Querstange unter der Decke sich dort nicht zufällig verfangen hatte, sondern absichtlich festgebunden worden war. Darüber befand sich die runde Öffnung, die zu den rätselhaften Gängen führte, welche Scall während der Flut entdeckt hatte.
»Also hat er sie dort hineingebracht, anstatt in die Stadt zu gehen.« Seriema runzelte die Stirn. »Was in Myrials Namen gedenkt er damit zu erreichen?«
»Wahrscheinlich will er sich irgendwo verstecken, bis wir die Suche aufgeben«, meinte Cetain.
»Da irrt er sich aber gewaltig«, knurrte Tormon.
Seriema versuchte, sich in den bedachtsamen, planvollen Diener hineinzuversetzen, der Presvel jahrelang gewesen war. »Ich nehme an, er will nicht gleichzeitig uns und die Bestien gegen sich haben«, schloss sie. »Vielleicht hofft er sogar, dass er über diese Gänge einen anderen Weg in die Stadt findet.«
Der Händler zuckte die Achseln. »Solange wir hier stehen bleiben, werden wir keine Antwort darauf finden. Los, folgen wir ihm!«
Zuerst wollte Cetain die Pferde bis zu ihrer Rückkehr im Tunnel stehen lassen, doch dieser Vorschlag brachte ihm so entsetzten Widerspruch von Tormon und Seriema ein, dass er sich einverstanden erklärte, vier Männer abzustellen, die die Tiere ins Tal brächten und dort auf sie warteten. »Ich wünschte, ihr hättet mir das alles früher gesagt«, brummte er. »Es hätte den Tieren eine nutzlose Anstrengung erspart, wenn wir sie gleich unten gelassen hätten.«
»Aber ich habe nicht einen Augenblick lang für möglich gehalten, dass Presvel da hinaufsteigt«, brachte Seriema vor. »Ich war sicher, er würde geradewegs nach Tiarond gehen, sodass wir die Pferde gebraucht hätten, um die Ebene zu überqueren. Nun sind sie doch zu Fuß. Zu Pferd und übers freie Feld hätten wir sie einholen können, ehe sie die Stadt erreichen.«
Cetain nickte. »Das ist wohl wahr.« Er seufzte. »Ich wünschte, sie wären über die Ebene weitergeritten. Das hätte uns die Aufgabe leichter gemacht.«
Seriema, die wohl wusste, dass die Aufgabe lautete, den Diener zu töten, schauderte, sagte aber nichts.
Bis die Pferde für die Umkehr bereit waren, hatte sich Tormon bereits an der Querstange hochgezogen und stand mit Kopf und Schultern in dem Deckenschacht. Cetain
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