Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
das weit über ihnen an der Felswand leuchtete. »Geht klar, Thirishri«, rief er. »Los!«
Vor Veldans Augen wurde der schlaffe Leib des Feuerdrachen auf einer Säule aus schimmernder Luft vom Boden hochgehoben. »Amaurn!«, schrie sie. »Was ist das?«
Er hielt sie fest bei den Händen. »Nur ruhig, Veldan. Hoffe und bete, dass es gut wird. Thirishri hat sich mit dem Auge vereinigt und ist der Geist Myrials geworden. Sie meint ein Mittel zu kennen, um Kaz zu heilen …«
Das war mehr, als Veldan in sich aufnehmen konnte. »Sie hat ihn fast umgebracht. Halte sie auf, Amaurn – das muss eine List sein. Sie darf ihn nicht kriegen!«
»Ruhig, Liebes.« Er nahm sie in den Arm und hielt sie fest. »Du bist überreizt, und das ist nur verständlich. Du begreifst nicht, was vor sich geht. Aber das ist seine letzte Hoffnung.«
Diesmal hörte sie seine Worte und verstand, was er sagte, wenn auch nicht, wie ein solches Wunder vor sich gehen sollte. Schon war der Feuerdrache auf der Höhe des Auges angekommen, und sie sah zu, wie er in dessen Tiefen verschwand.
Veldan bemerkte, dass Amaurn den Arm nur noch locker um ihre Schultern gelegt hatte, dass Kalt ihre Hand hielt, dass Toulac bei ihr stand, entschlossen und stark wie immer, wenn auch mit besorgtem Stirnrunzeln.
Die Zeit verging. Langsam. Veldan dachte an ihre Kindheit mit Kaz. Wie die kleine Echse aus dem fremdartigen Ei schlüpfte und zu diesem prächtigen Wesen heranwuchs, das so groß und klug und stark war. All die Jahre über war er Veldans Beschützer gewesen, ihr Seelentrost und Freund, und dasselbe war sie für ihn gewesen. Sie hatten in guten und schlechten Zeiten einander beigestanden. Sie dachte an das boshafte Funkeln in seinen Augen, die schalkhafte Zunge, das ärgerliche Kichern, das zumeist bedeutete, dass er das letzte Wort haben wollte.
Wie kann ich ohne ihn leben? Das ist doch, als würde mir die Hälfte entrissen! Jetzt weiß ich, wie es in Elion ausgesehen hat. Jetzt begreife ich ihn.
Unterdessen hatte sich das Auge nicht verändert. Es gab keine Anzeichen, dass sich in seinem Innern etwas tat. Nach einer Weile stiegen in Veldan Zweifel auf, dass überhaupt noch etwas geschehen würde. Die Menschen auf dem Steg begannen unruhig zu werden, und man hörte ratloses Gemurmel von dort oben. Sie war so voll ängstlicher Anspannung, dass sie sie hätte umbringen können, nur um sie zum Schweigen zu bringen.
Wie können sie es wagen, dort schwätzend beieinander zu stehen, während das Leben von Kaz und mir an einem seidenen Faden hängt?
Veldan glaubte keinen Augenblick länger warten zu können. Sie wollte rennen, schreien, weinen … Und dann sah sie es. Eine lange, dunkle Gestalt schwebte tief in dem geheimnisvollen Blau. Ein paar Augenblicke später, und Kaz tauchte aus der Mitte des Auges auf, doch da war kein Funken Bewusstsein, um auf ihre besorgten Rufe zu antworten. Und außerdem sah er noch ebenso verquer aus wie vorher. Ihr sank der Mut, und grenzenlose Bitterkeit überfiel sie.
Verdammt, Thirishri hat versagt! Zuerst lässt sie mich hoffen – und dann wird es eine Enttäuschung.
Das war zu grausam. Veldan wusste nicht, wie sie es ertragen sollte. Sie schloss die Augen, um den schrecklichen Anblick loszuwerden und gab sich finsterer Verzweiflung hin. Dann nahm Kalt ihre Hand und drückte sie sehr fest. »Veldan«, sagte er, »mach nicht so ein Gesicht! Öffne die Augen. Er lebt. Kaz ist am Leben. Er ist nicht bei Bewusstsein, aber er lebt! Ich kann das Leben in ihm spüren.«
Da erst wagte Veldan hinzusehen. Er war inzwischen näher gekommen – sie konnte ihn atmen sehen und wie er sich langsam zu regen begann. Und als der Feuerdrache am Boden ankam, hüpfte ihr das Herz im Leib. Aber etwas war anders … Dann riss sie die Augen auf. »Kalt – sieh nur! Amaurn, Toulac, seht doch!« Sie rannte zu Kaz, und als sie sich neben ihn kniete, schlug er die Augen auf. »Hallo, Schätzchen.« Seine Stimme war noch schwach, wurde aber zusehends kräftiger. »Ich habe wirklich seltsames Zeug geträumt. Ich habe geträumt, Myrial hat mir …« Plötzlich schoss sein Kopf in die Höhe, drehte sich nach hinten, fuhr hierhin und dorthin. »Flügel?« In seiner Aufregung entfuhr ihm ein lautes Brüllen. »VELDAN! ICH HABE FLÜGEL!«
Sie schloss ihn in die Arme, und Tränen strömten über ihr Gesicht. »Ich freue mich so sehr für dich, Kaz. Du hast sie dir immer gewünscht, und du hast sie verdient. Aber am meisten freue ich mich, dass ich
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