Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
Stunden? Tage? Oder würde sie, wenn sie irgendwann wieder freikäme, feststellen, dass Jahrhunderte vergangen und alle ihre Freunde lange tot waren, und alles Bekannte längst verschwunden? Oder würde sie enden wie Helverien, die man dazu verdammt hatte, für Jahrtausende gefangen zu sein, während die Geschichte an ihr vorüberging, bis die Welt für sie nicht wiederzuerkennen wäre?
Wie war das zu ertragen? Wie hatte Helverien geistig gesund bleiben können? Oder war sie es gar nicht mehr?
»Thirishri?« Ihre Mitgefangene blickte sie an, eine dünne Falte zwischen den Brauen. »Du bist sehr still. Geht es dir gut?«
*So gut es einem hier gehen kann*, antwortete Thirishri nörglerisch. *Ich habe nur darüber nachgedacht, wie du es so lange aushalten konntest.*
»Das frage ich mich selbst manchmal. Irgendwie ist es mir gelungen, nie die Hoffnung zu verlieren, dass ich eines Tages von hier fortkomme, und das hat mir geholfen. Das andere Mittel war, die Landschaft, die du hier siehst, mit vielerlei Einzelheiten aus dem Gedächtnis zu schaffen. Das hat mich ein ganzes Zeitalter gekostet, kann ich dir sagen. Es war nicht so einfach, wie es erscheinen mag. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Schöpfer unsere ganze Welt hervorbringen konnten.«
*Nun, wie immer sie es geschafft haben, sie scheinen sie nicht auf Dauer gebaut zu haben*, entgegnete der Windgeist missmutig. *Wenn wir nicht bald ein Mittel finden, um den Zusammenbruch der Schleierwand aufzuhalten, dann wird von unserer Welt nicht mehr viel übrig bleiben, und der Himmel weiß, wie wenige Völker am Ende noch am Leben sein werden.*
Helverien seufzte. »Du ahnst nicht, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, die Welt wiederzusehen, und wie lange schon. Es wäre wirklich grausam, wenn wir je hier herauskämen und nichts wäre mehr da. Wenn wir nur von hier fort kämen, könnten wir vielleicht etwas tun, um sie zu retten. Aber wie die Dinge stehen, sind wir machtlos.«
*Was meinst du damit, dass wir vielleicht etwas tun könnten?*, fragte Thirishri sofort. *Was können wir schon tun?*
»Weißt du das nicht?«, fragte die Zauberin in einem Ton, den Thirishri als ärgerlich überheblich empfand. »Die Schöpfer haben unter der Erde etliche Eingänge gelassen. Die führen zu den Dingen, die die Ordnung des Planeten erhalten. Ich weiß mit Bestimmtheit, dass es unter dem Tempel von Tiarond einen Einstieg gibt. Wenn wir nur fliehen könnten und die Stelle finden, ließe sich vielleicht feststellen, warum alles falsch läuft.«
*So einfach soll das sein? Soll das heißen, die Alten würden jeden an diesen besonderen Ort vordringen und in die Abläufe unserer Welt eingreifen lassen? Das glaube ich nicht! Und angenommen, du findest tatsächlich, was da nicht stimmt – wie willst du es denn wieder richten? Wir haben nicht die Macht der Schöpfer.*
Helverien zuckte die Achseln. »Darüber könnten wir uns Gedanken machen, wenn wir dort sind – wenn wir nur hinkämen. Du hast Recht damit, dass es nicht so einfach ist, wie es aussieht. Soweit ich weiß ist der Eingang vollkommen frei, aber wenn man erst einmal dort unten ist, hat man es mit allerlei tödlichen Fallen und Hindernissen zu tun, die mit unbefugten Eindringlingen kurzen Prozess machen.«
*Und was willst du dagegen unternehmen?*, fragte Thirishri scharf. Die lässige Haltung dieser Frau, die schon an Überheblichkeit grenzte, begann sie zu reizen. *Oder hältst du dich für jemand Besonderes, sodass die Gefahren nicht für dich gelten und du einfach durch einen Wald von Hindernissen schreiten kannst? Immerhin wurden sie von Leuten ersonnen, die weise und machtvoll genug waren, eine Welt zu erschaffen.*
»Soweit würde ich nicht gehen«, erwiderte Helverien gelassen, »aber ich halte es für recht wahrscheinlich, dass ich mich dort zurecht finde. Du vergisst, dass ich Geschichtsschreiberin und Schriftenverwalterin bin. Ich muss der einzige noch lebende Mensch sein, der die Schriftstücke der Schöpfer lesen kann. Wenn wir nur zu einem der Kontrollpunkte gelangten, ich würde wetten, dass sie Anweisungen hinterlassen haben, mit deren Hilfe wir uns einschalten und den Schaden beheben können. Wenn die Welt in einem so schlimmen Zustand ist, wie du sagst, wäre es sicherlich einen Versuch wert.«
Der Windgeist war bass erstaunt. Welch eine Anmaßung, hingehen zu wollen und sich an den Erfindungen von Leuten zu schaffen zu machen, die die Macht hatten, eine Welt zu erbauen! Sie dachte daran, was Cergorn
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