Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
geheimnisvollen Scheidewand, wobei er sich mit außerordentlicher Schnelligkeit nach Norden wandte.
Was im Namen der Schöpfung war das denn?
Kalt verließ die Kraft, und er sank im Sattel zusammen, wollte auch am liebsten seinen Schutzschild aufgeben, war aber zu misstrauisch gegen seinen unbekannten Wohltäter, um sich schon ganz zu entspannen. Nun, da das Schlimmste vorüber war, fiel ihm auf, dass das fremde Wesen ihn mittels Gedankenübertragung angesprochen hatte, gerade wie sein Lehrer es zu tun pflegte. Der Überbringer schüttelte den Kopf, um zu klarem Verstand zu kommen. Er wusste, dass er nicht richtig denken konnte, seine Gedanken waren eine siedende Mischung aus Ratlosigkeit, Erschöpfung und Angst. Gehörte das feurige Wesen etwa zum Schattenbund? Grimm hatte behauptet, dass alle Arten unvorstellbarer und ulkiger Geschöpfe diesem Zusammenschluss von Auserwählten angehörten, aber Kalt hatte es nur halb geglaubt. Sein Meister hatte bekanntlich immer gern Späße gemacht.
Nun, was es auch war, es hatte ihm diese widerlichen Scheusale vom Hals geschafft. Gerade erwog er die Möglichkeit, den Schutzschild aufzugeben und seinen Weg fortzusetzen, als er in der Ferne ein flackerndes Licht sah, das zu golden war, als dass es ein Stern sein konnte, und das sich schnell über den Horizont bewegte. Kurz darauf wurde offensichtlich, dass der Brennende – oder ein weiterer seiner Art – zurückkehrte, und Kalt wappnete sich für die unausweichliche Auseinandersetzung.
Immer näher kam das flammende Geschöpf, schließlich bremste es ab und schwebte genau vor seinem Schild, und er sah voller Erstaunen, dass es ein schöner Vogel von der Größe und Gestalt eines Adlers war. Er hatte einen lodernden Federkamm, und jede einzelne Feder leuchtete in einem anderen Goldton und wurde durch einen glühenden Rand scharf hervorgehoben. Vom Schnabel und den grausamen Augen eines Raubvogels bis zu dem fließenden Schwanz aus Feuer und Funken wenigstens zwei Ellen lang, bot das strahlende Geschöpf einen übernatürlichen Anblick, und, was noch wundersamer war, Kalt konnte tatsächlich die Hitze spüren, die es ausstrahlte und die seinen Schild durchdrang, und zum ersten Mal in dieser Nacht brauchte er nicht zu frieren.
»Wer im Namen alles Erstaunlichen bist denn du?« Die Stimme, die sich in seinem Kopf bildete, schaffte es, zugleich ratlos und ärgerlich barsch zu klingen. Dabei klang sie auch ganz entschieden weiblich. »Du bist kein Mitglied des Schattenbundes«, beschuldigte ihn das prächtige Wesen. »Wer hat dich gelehrt, durch die Schleierwand zu dringen? Wieso beherrschst du die Gedankenübertragung? Und was hast du dir um Himmels willen dabei gedacht, diese widerwärtigen Ungeheuer nach Gendival zu lassen? Sie sind beide entkommen, weißt du. Ich konnte den einen nicht einholen, und weiß der Himmel, wo der andere inzwischen ist. Wer immer du bist, der Archimandrit wird nicht sehr erfreut sein über dieses nächtliche Tun, das kann ich dir sagen.« Sie – er nahm jedenfalls an, dass es eine Sie war – hielt inne, um ihn mit wachen Augen zu mustern. »Nun? Haben dir die Ak’Zahar die Zunge abgebissen? Und warum gibst du um Himmels willen nicht deinen Schutzschild auf, bevor du zusammenbrichst. Was glaubst du denn, was ich dir antun werde? Dich verspeisen?«
Mit dem grausamen, gebogenen Schnabel sah sie aus, als könnte sie ihn durchaus verzehren – und ihn vorher braten. Mit Mühe riss sich Kalt zusammen. »Ich … Es tut mir Leid, dass ich die Bestien durchgelassen habe«, antwortete er. »Ich konnte es nicht verhindern – sie kamen plötzlich wie aus dem Nichts, als ich die Schleierwand öffnete. Niemand hätte vermutet, dass sie schon so bald von Tiarond hierher kommen.«
»Du kommst aus Tiarond?«
»Nein. Aus dem Gebiet der Rotten, was nicht weit von hier ist. Aber meine Sippe beherbergt eine Hand voll Flüchtlinge aus der Stadt, wie auch diesen Jungen hier.« Er deutete auf Scall, der nach wie vor gefesselt auf dem Sattel der Braunen lag und jetzt den Kopf bog, um den feurigen Anblick zu begaffen. »Mein Lehrer Grimm sagte, ich muss -«
»Moment mal! Du bist ein Freund von Grimm?« Plötzlich verschwand einiges von der Schärfe in ihrer Stimme. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Nimm diese lächerliche Maske ab, damit ich dein Gesicht sehen kann. Und wo wir schon dabei sind, willst du bitte endlich den Schild aufgeben, ehe du zusammenbrichst?«
»Oh.« Vor lauter Verwunderung darüber,
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