Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
und die Kuppel hielt stand. Die Geschöpfe wurden mitten in der Luft angehalten, als hätten sie einen Zusammenstoß mit einer Steinmauer, glitten an ihrer gekrümmten Oberfläche herunter und stürzten in einem Gewirr aus fuchtelnden Flügeln und Gliedern ab.
Verwirrt, mit zornig blitzenden Augen warfen sie sich erneut auf Kalt – und prallten ein zweites Mal ab, nur eine Armeslänge von ihrer Beute entfernt am Ergreifen gehindert. In Raserei versetzt, verdoppelten sie ihre Anstrengung und waren entschlossen, sich eine Bresche zu schlagen zu dem Schmaus, den sie so dicht vor Augen hatten. Für Kalt war es entsetzlich, sie so nah zu erleben. Der Kraftschild nutzte weder etwas, was den widerwärtigen Gestank, noch was die durchdringenden Schreie anging. Er war sogar sicher, dass er das schwache Kratzen ihrer Krallen auf der Außenseite des Schildes hören konnte.
Inzwischen hatten sie sich in gleichen Abständen um ihn verteilt und griffen aus drei Richtungen gleichzeitig an, aber dabei wurde Kalt klar, dass ihm das nützte. Wenn sie ihre Anstrengungen alle drei auf einen Punkt richteten, so würde er vermutlich nicht genügend Kraft haben, um sie abzuhalten – und darüber hinaus hätten die Pferde in dem Versuch der Bedrohung zu entkommen von innen gegen seinen Schild gedrückt. Aber so hatten sie sich in einen vor Angst schwitzenden Knäuel in der Mitte der Kuppel verwandelt, der versuchte, so weit wie möglich von der Bedrohung weg zu kommen.
Kalt war stolz auf seinen Schild. Nach dem Zusammenstoß mit dem Rottenvater hatte Grimm ihn diese Kunst gelehrt, aber es war das erste Mal, dass sich tatsächlich die Gelegenheit – oder vielmehr die Notwendigkeit – auftat, das Gelernte in die Tat umzusetzen. Jedoch hatte es keinen Sinn, sich allzu bald zu beglückwünschen. Die Kuppel mochte wirksam sein und seine einzige Hoffnung auf Überleben, aber leider war sie auch ein Käfig. Kalt war in der Kunst, sich fortzubewegen und gleichzeitig die Verteidigung aufrechtzuerhalten, noch nicht vollkommen. Vielleicht könnte er es schaffen, wenn er nur sich selbst zu schützen hätte – zumindest war er sich dessen recht sicher –, aber seine Fähigkeit reichte nicht aus, um auch noch drei tänzelnde Pferde abzuschirmen, die vor lauter Angst jeden Augenblick auf Nimmerwiedersehen davonzuspringen drohten.
Um alles noch schlimmer zu machen, war den Bestien keineswegs anzumerken, dass es sie etwa entmutigte, nicht an ihre Beute heranzukommen. Sie sahen eindeutig, dass es hier Futter gab, und sie würden ihren Ansturm einfach mit blinder Wut weiterführen, bis Kalts Kräfte nachließen und seine Verteidigung durchbrochen werden konnte.
Wunderbar. Und was mache ich jetzt, Grimm?
Die Anstrengung, einen so großen Schutzschild aufrechtzuerhalten, war außerordentlich, und Kalt spürte bereits die Ermüdung. Trotz der Kälte brach ihm am ganzen Körper der Schweiß aus, und er begann schneller zu atmen. Er war froh, auf dem Pferd geblieben zu sein. Denn er fing schon an zu zittern, und bezweifelte sehr, dass ihn seine schlotternden Beine noch getragen hätten. Konnten die Menschenfresser seine Schwäche durch den Schild hindurch wahrnehmen? War es nur seine Einbildung, dass sie gerade jetzt die Wut ihres Angriffs verdoppelten? Grimm hatte ihm zugetraut, durch die Schleierwand und zum Schattenbund zu gelangen. Sollte er denn seinen Lehrer so enttäuschen? Es war ihm doch sicher nicht bestimmt, sein Leben als Fleischfetzen im Bauch dieser stinkenden Geschöpfe zu beenden?
Hilfe! Bitte! So helfe mir doch einer!
Dieser innere Aufschrei entfuhr ihm unwillkürlich, ein reiner Ausbruch der Verzweiflung, die letzte Tat eines Mannes, der sich nicht mehr zu helfen weiß. Niemand hätte verblüffter sein können als Kalt, als ihm jemand antwortete.
»Halte stand. Ich komme.« Einen Moment später sauste eine flammende Gestalt heran wie ein Komet aus der Dunkelheit, einen langen Funkenschweif hinter sich herziehend. Sie platzte mitten unter Kalts Angreifer und zielte ohne Umschweife auf die Augen. Ein markerschütternder Schrei ertönte, und der stechende Gestank nach verbranntem Fleisch drang durch den Schild des Überbringers. Eine Bestie stürzte, sich an die Augen greifend und garstige Schreie ausstoßend, und ihre beiden Kumpane stoben in verschiedene Richtungen auseinander. Der eine floh im rechten Winkel zur Außenseite der Schleierwand, und das feurige Wesen raste ihm hinterher. Der andere floh entsprechend dem Verlauf der
Weitere Kostenlose Bücher