Der Schattenesser
hinabgestoßen hatte.
Die Frauen blieben in einigem Abstand vor ihnen stehen. Ihre Augen wirkten eingefallen, verborgen zwischen tiefen Falten. Ihr Blick erschien Sarai nicht weniger böse und tückisch als bei ihrer ersten Begegnung auf der Burg.
Da sagte diejenige der Alten, die links von den anderen stand: »Du bist wie wir eine Auserwählte des Ewigen Leander Nadeltanz, deshalb stehen wir auf einer Seite. Der Bote kann diese Räume nicht betreten, der Zauber-Der-Herzen-Und-Dornen hält ihn zurück. Vielleicht nicht für lange, doch er ist ungeduldig, und wird bald schon aufgeben. Ein Wesen wie er hat alle Zeit der Welt und noch viel mehr, und er weiß, was es bedeutet, zu warten, doch er liebt es nicht. Vorerst wird er von dir ablassen. Merke dir, daß du uns diese Gunst zu verdanken hast.«
Obgleich es Sarai widerstrebte, sagte sie: »Unser Dank ist Euch gewiß, edle Damen.«
»Er dort ist uns gleichgültig«, sagte die zweite der alten Frauen und wies mit ihren knöchrigen Klauenfin gern auf Kaspar. »Er wurde nicht erwählt. Er wird sterben.«
Kaspar fuhr zusammen und wurde kreidebleich, tat aber gut daran, Sarai das Reden zu überlassen.
»Er hat mein Leben gerettet«, sagte sie und versuchte, ihren Schrecken zu verbergen. »Das Leben einer Auserwählten sollte dem Ewigen etwas wert sein - und auch jenen, die ihm dienen.« Sie sprach ihre erstbesten Gedanken aus und bemühte sich, den weihevollen Tonfall der Frauen zu treffen.
»Wir sind keine Dienerinnen des Ewigen«, widersprach die dritte Alte. »Wir sind seine Erwählten, so wie du seine Erwählte bist. In dieser Sache sind wir gleichgestellt.«
»Nur in dieser Sache«, fügte die erste Alte hinzu, und die anderen pflichteten ihr plappernd bei:
»Dein Gefährte ist es nicht.«
»Nicht im geringsten.«
»Deshalb muß er sterben.«
»Ganz genau.«
»Allerdings.«
Die übrigen Hühnerfrauen rückten bedrohlich näher.
»Aber«, begann Sarai verzweifelt und stellte sich schützend vor den Freund, »er kann doch fliegen. Ist denn eine unter Euch, die das vermag?«
»Du redest Unsinn«, sagte die erste Alte.
»Wirres Zeug«, sprach die zweite.
»Torheit«, höhnte die dritte.
Da meldete sich aus den Reihen der übrigen Hühnerfrauen eine Stimme zu Wort. »Nein, sie sagt die Wahrheit. Ich habe es gesehen.«
»Was?« fragten die drei Alten im Chor.
»Ich habe es gesehen«, wiederholte das Hühnerweib. Unruhig wippte die Frau auf dem Balken hin und her.
»Tritt vor!« verlangte das junge Mädchen an der Seite des Triumvirats und sprach damit zum erstenmal seit Beginn der Versammlung.
Das Hühnerweib gehorchte, sprang von der Stange und ging hochaufgerichtet auf die drei Frauen zu. Auf halber Strecke zwischen den Alten, Sarai und Kaspar blieb sie stehen.
»Ich habe den Fluß beobachtet«, begann sie, »genau so, wie es mir aufgetragen wurde. Heute abend sah ich, wie diese beiden das Ufer der Judenstadt erreichten.
Und glaubt mir, wenn ich Euch versichere, sie kamen geflogen.«
»Kein gewöhnlicher Mensch kann fliegen«, beharrte die erste der Alten.
»Kein gewöhnlicher«, sagte da Kaspar, der es offenbar leid war, daß über seinem Kopf um seinen Kopf gestritten wurde. »Wer sagt denn, ich wäre ein gewöhnlicher Mensch.«
Die zweite Alte schnaubte verächtlich. »So flieg denn, wenn du es vermagst.«
»Hier?« fragte Kaspar unsicher.
»Natürlich«, entgegnete die dritte Alte. Ihre Mundwinkel zuckten voller Tücke.
Kaspar schenkte Sarai einen hilfesuchenden Blick, dann stammelte er: »Dazu brauche ich ein Gerät, das sich am anderen Ufer befindet.«
»Ich glaubte eher, du brauchst ein Paar Flügel, junger Mann«, sagte die erste Alte.
Die beiden anderen kicherten.
»Los, bringt ihn weg!« befahl das junge Mädchen.
Sarai trat vor. »Nein!« rief sie laut, und das Wort hallte vielfach in der unterirdischen Halle wider. »Ich verbiete es. Ihr habt gesagt, wir sind gleichgestellt. Dann sollte mein Wort in dieser Sache ebensoviel gelten wie das Eure.«
»Wir sind in der Überzahl«, krächzte die zweite Alte.
»Trotzdem ist es mein Wille, daß diesem Mann« - Sarai betonte das letzte Wort über Gebühr - »nichts geschieht. Er könnte sich im Kampf gegen den mal'ak Jahve als nützlich erweisen.«
»Kampf...«
»Gegen...«
»Den mal'ak Jahve?« fragten die drei Alten der Reihe nach. »Wozu sonst hat Nadeltanz uns erwählt?« wollte Saraiwissen. Das Erstaunen der Frauen verwirrte sie.
Die Alten beugten sich einander zu und
Weitere Kostenlose Bücher