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Der Schattenesser

Der Schattenesser

Titel: Der Schattenesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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tuschelten.
    Die junge Dienerin behielt Sarai mißtrauisch im Auge. Ihr Blick verriet, daß sie sich nur zu gut erinnerte, wieSarai sie überwältigt hatte.
    Die Alten nahmen wieder ihre ursprüngliche Aufstellung in einer Reihe ein.
    »Wir wollen wissen«, verlangte die erste, »was du im Schattentheater des Ewigen gesehen hast.«
    »Was hat er dir gezeigt?« fragte die zweite.
    Kaspar, der kein Wort von all dem verstand, starrte Sarai verblüfft an. Sie sah sich plötzlich in einer Zwickmühle. Was wollten die Frauen von ihr hören? Und was würden sie tun, wenn ihnen die Antwort nicht gefiel?
    Hatte Nadeltanz ihnen eine andere Aufgabe gestellt als ihr?
    Sie beschloß, aufs Ganze zu gehen. »Ich soll den mal'ak Jahve zur Strecke bringen«, sagte sie und fragte sich mit einemmal, ob es wirklich das gewesen war, was Nadeltanz von ihr wollte. Der Ewige hatte ihr vier Bildergezeigt: Ein strahlendes Wesen - der mal'ak Jahve. Eine Gestalt in einer Dachkammer - der Golem. Tausende Menschen, die sich gegenseitig den Garaus machten.
    Und ein Mann, der die Mondsichel vom Himmel pflückte. Sarai schien es auf einmal mehr als ungewiß, ob sie die Bilder richtig gedeutet hatte. Hatte Nadeltanz etwas ganz anderes von ihr gewollt?
    Sie hatte ihre Antwort auf die Frage der Alten kaum ausgesprochen, da übermannten sie bereits Zweifel an ihren eigenen Worten.
    War sie einem falschen Ziel nachgelaufen? Hielt der Golem noch anderes Wissen für sie bereit, das ihr den richtigen Weg weisen konnte? Hatte sie ihm nur die falschen Fragen gestellt - oder zu wenige?
    Ein Grund mehr, ihn so schnell wie möglich aufzusuchen. Die Frauen blickten sie immer noch ungläubig an. »Er gab dir den Auftrag, einen Engel zu besiegen?« sagte eine.
    »Unmöglich!« beharrte eine andere.
    Sarai zog es vor, darauf keine Antwort zu geben und fragte statt dessen: »Warum verratet Ihr mir nicht, welche Aufgabe Euch gestellt wurde? Welche Bilder habt Ihr gesehen?«
    Wieder beugten sich die Köpfe der Alten, und das Flüstern begann von neuem. Schließlich verkündete die eine: »Folge uns!«
    Daraufhin wandten die drei sich um und gingen auf den Vorhang in ihrem Rücken zu.
    Sarai, der mehr als unwohl zumute war, hielt sie mit einem Ruf zurück: »Wartet! Was geschieht mit meinem Freund?«
    »Ja, richtig«, fragte Kaspar eilig, »was geschieht mit mir?«
    »Ihm soll vorerst kein Haar gekrümmt werden«, entschied die erste der Alten - zum sichtlichen Mißfallen des Mädchens an ihrer Seite, das Sarai die Niederlagewohl gegönnt hätte.
    »Aber er darf uns nicht folgen«, gebot die zweite.
    Und die dritte sagte: »Man wird sich um ihn kümmern.« Dabei gab sie dem Mädchen einen Wink, das sichsofort von den dreien löste und neben Kaspar trat.
    Sarai schenkte ihm einen ratlosen Blick, aber er nickte nur auffordernd. Ihm war anzusehen, daß er sich fürchtete, doch im Gegensatz zu Sarai schien er dem jungen Mädchen kein Übel zuzutrauen.
    Da Sarai keine andere Möglichkeit sah, als dem Befehl der Frauen zu gehorchen, ließ sie Kaspar mit den Hühnerweibern und dem Mädchen zurück und trat hinter den Alten durch den Vorhang.
    Dahinter lag ein kurzer Gang, der in einen weiteren, weniger pompösen Kellerraum führte. Er hatte eine niedrige Gewölbedecke, und an den Wänden zeichneten sich noch die Umrisse gewaltiger Fässer ab. Sarai fiel ein, daß es in der Judenstadt in der Tat eine stillgelegte Brauerei gab. Durchaus möglich, daß sie sich nun in deren Kellern befanden.
    In der Mitte des Raumes, der zu einer Art schmucklosem Thronsaal entfremdet worden war, standen drei Sessel. Beinahe belustigt stellte Sarai fest, daß die drei Alten vom Sitzen auf Stangen, wie sie es ihrem Gefolge abverlangten, nicht viel zu halten schienen.
    Die Frauen nahmen Platz. Sarai blieb vor ihnen stehen.
    Die drei Alten warfen sich untereinander sichernde Blicke zu, dann nickten sie zugleich wie zum Zeichen, daß alle einer Meinung waren.
    »Dir wird ein großes Vertrauen zuteil«, sagte die erste.
    »Erweise dich dem als würdig«, riet die zweite.
    Die dritte beugte sich vor, fast vertraulich. »So höre denn vom Kommen des Hühnerhauses und dem Ende aller Tage.«
     
     
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KAPITEL 8
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    K assius erblickte schon von weitem die Menschenmenge, die sich vor dem westlichen Tor der Karlsbrücke versammelt hatte. Saxonius hockte schweigend und nahezu reglos auf seiner linken Schulter. Maximilians Befehlshaber hatten mehr als zwei Dutzend Wachtposten zusammengezogen, die in

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