Der Schattenesser
nichts zu verraten, daß es innerhalb der Mauern nicht zum besten stand. Vom Ausbruch der Pest schwieg man und entfernte auch im Umkreis des Verhandlungsortes, einem alten Palast am Stadtrand, alle Hinweise auf die Seuche. Man fürchtete, daß Bethlen Gabor, sollte er von der Krankheit erfahren, kurzerhand den Belagerungszustand ausrufen und abwarten würde, bis die Liga selbst an der Seuche zugrunde ging.
Während die Heerführer und ihr Feind an einem großen Tisch beisammensaßen und mit ihren Gesprächen begannen, gelang es einer einzelnen Gestalt, sich aus dem Troß des Fürsten zu lösen. Wie sie es schaffte, den Wall der Ligasoldaten zu durchdringen, ließ sich später kaum nachvollziehen. Die wenigen, die überhaupt davon erfuhren, behaupteten, es sei nicht mit rechten Dingen zugegangen, eine Vermutung so gut wie jede andere. Körperliche Reize, herrlich genug, manchen Mann zu blenden, mochten eine Rolle gespielt haben, denn die Frau war von betörender Schönheit. Ihr Haar war lang und rabenschwarz, ihr Körper so zierlich wie der Leib eines Kindes. Tatsächlich hatte sie ihr zwanzigstes Jahr noch nicht überschritten. Und doch war sie Bethlen Gabors gefährlichste Waffe.
Oana kannte die geheimen Wege unter der Oberfläche Prags. Sie war nicht zum erstenmal in der Stadt.
Kaum hatte sie den Ring der Wachtposten hinter sich gelassen, da schlüpfte sie schon eine Treppe hinunter und lief durch geheime Schächte und Kellergewölbe. Her unten war sie sicher vor Verfolgern, und niemand würde wissen, welchen Weg sie nahm. Sie mußte sich beeilen.
Der Fürst würde die Oberhäupter des Ligaheeres so lange hinhalten, bis sie zurück war, doch bis dahin galt es, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Nach schier endlosen Gängen und Kammern, einem Gewirr aus vergessenen Türen, durchbrochenen Wänden und versteckten Korridoren gelangte sie schließlich an ein Portal. Es war mit Dornenzweigen behängt, auf die man vertrocknete Herzen gespießt hatte. Ein Abwehrzauber. Oana fragte sich verwundert, gegen wen.
Sie hob die Hand ans Holz und klopfte. Die Frauen auf der anderen Seite würden sich an den Rhythmus erinnern. Sie würden wissen, wer da Einlaß begehrte.
Eine schmale Klappe öffnete sich auf Höhe ihres Gesichts in der Tür, und ein Augenpaar starrte ihr mißtrauisch entgegen.
Oana sagte nichts, erwiderte nur wortlos den Blick.
Da weiteten sich die Augen auf der anderen Seite, die Klappe schlug zu, und ein Aufschrei war durch die Tür zu vernehmen:
»Die Prophetin! Die Prophetin ist zurückgekehrt!«
Die Tür wurde aufgerissen. Im Raum dahinter bildete sich eine Doppelreihe aus Hühnerweibern, die mit gebeugten Köpfen dastanden und ehrerbietig zu Boden starrten. Am Ende dieses Spaliers, das von der Tür quer durch die Halle führte, eilten ihr drei alte Frauen entgegen. Oana suchte vergeblich nach Helena Koprikova, der Anführerin der Hühnerweiber. Sie war nirgends zu sehen. Statt ihrer begrüßten sie nun die drei Alten mitsalbungsvollen Worten.
Oana trat ein, nahm die ihr dargebotenen Ehrenbezeugungen mit gleichgültiger Miene entgegen und fragte eisig:
»Wo ist Helena Koprikova?«
»Sie ist tot, Herrin«, erwiderte eine der Alten.
»Verbrannt, Herrin«, fügte eine andere hinzu.
»Schon vor Wochen, Herrin«, sagte die dritte.
Tot? dachte Oana besorgt.
»Was ist geschehen?« fragte sie und gab sich Mühe, ihr Erstaunen mit Kälte zu überspielen.
»Wenn Ihr uns folgt, Herrin, werden wir Euch in Ruhe Bericht erstatten«, schlug eine der Alten zaghaft vor.
»Ohne dieses Getümmel«, sagte die zweite und deutete abfällig auf die Reihen der Hühnerweiber.
Und die dritte rief, an die Frauen gewandt: »Los doch, macht Euch davon!«
Sogleich löste sich die strenge Ordnung der Weiber auf. Aufgebracht liefen sie durcheinander, fast wie echte Hühner.
»Hier entlang«, sagte eine der Alten und wies auf eine Tür.
»Ich kenne den Weg«, erwiderte Oana ungeduldig.
Wenig später befanden sie sich im Thronsaal der Alten. Oana nahm im mittleren Sessel Platz, während die drei Frauen unterwürfig stehenblieben.
In knappen Sätzen berichteten sie der Prophetin vom Erscheinen des mal'ak Jahve und von Helena Koprikovas Freitod. Sie erwähnten auch Sarai und ihren Gefangenen, doch keiner der beiden erregte Oanas Aufmerksamkeit; sie hatte längst anderes im Sinn. Mit Erleichterung hatte sie erkannt, daß sich trotz des Todes der früheren Anführerin nichts an der Überzeugung der Hühnerweiber geändert hatte.
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