Der Schattenesser
Sie waren immer noch Wachs in ihren Händen.
»Die Ankunft des Hühnerhauses steht kurz bevor«, verkündete sie.
Die drei Alten sahen sich mit funkelnden Augen an, sagten jedoch kein Wort. Sie warteten auf die Befehle ihrer Prophetin.
»Beim ersten Hahnenschrei muß das Tor im Osten fallen. Ihr werdet es öffnen, um jeden Preis.
«Die Alten nickten beflissen. »Natürlich, Herrin. Endlich ist es soweit.«
Obgleich sie diese tumben Kreaturen zutiefst verachtete, zwang Oana sich zu einem Lächeln. »Worauf Ihr so lange habt warten müssen, wird endlich wahr. Setzt Euch der Gnade des Hühnerhauses aus und laßt es ein! Koste es, was es wolle: Das Tor muß beim Hahnenschrei fallen!«
»So wird es geschehen«, bestätigten die Alten wie aus einem Munde.
Oana erhob sich. »Ihr seid dem Hühnerhaus treu ergeben, das ist gut. Ich bin zufrieden mit dem, was ich sehe.«
Die Frauen wanden sich vor Scham und Selbstgefallen. »Habt Dank, Herrin.«
Einen Moment lang erduldete Oana noch ihre Huldigungen, dann stand sie auf und wandte sich zum Gehen. »Denkt daran«, sagte sie noch einmal, »das Tor fällt beim Hahnenschrei.«
»Jawohl, Herrin«, versicherten die Alten katzbuckelnd .
Nach einer Abschiedszeremonie, die ihrer Begrüßung ähnelte, verließ Oana die Hühnerweiber. Sie selbst zweifelte an der Überzeugungskraft ihres Auftritts als Prophetin. Und doch schien sie auf die dummen Dienstweiber, die sich selbst für Auserwählte hielten, gehörigen Eindruck gemacht zu haben. Alles war so viel einfacher gewesen, als sie erwartet hatte.
Die Frauen würden unter Einsatz ihres Lebens die Wachen überwältigen und das Stadttor öffnen. Keiner rechnete mit einem Angriff von innen, denn nicht einmal den größten Feinden der Liga konnte an einem Einmarsch der Armee Bethlen Gabors gelegen sein. Und doch würde es so kommen, genauso, wie Oana und ihr Fürst es schon vor Monaten geplant hatten, als ihnen der Einfall mit dem Hühnerkult gekommen war. Oana war nach Prag gereist und hatte sich wochenlang in den Geheimgesellschaften der Stadt umgetan; die Verbindung der ungebildeten Dienstmägde war ein ungeheurer Glücksfall gewesen. Es war Oana überaus leicht gefallen, als Prophetin ihr Vertrauen zu erschleichen. Seither warteten die dummen Weiber auf die Ankunft eines ominösen Hühnerhauses, das es freilich nicht gab. Oana und der Fürst hatten in mancher Nacht über solche Einfalt gelacht.
Der einzige Teil ihres Planes, der nicht aufgegangen war, war die Ankunft des Erwählten, den Oana den Frauen versprochen hatte. Vor Tagen schon hatte sie einen Mann auserkoren und ihn mit ihren Giften gefügig gemacht. Balan, ihr Gehilfe, hatte nicht gewußt, was er dem Fremden einflößte. Trotzdem hatte sie sich seiner beim Angriff auf ein Dorf entledigt, ohne daß einer seiner Freunde Verdacht schöpfte.
Ihr falscher Messias war offenbar bis heute nicht in Prag eingetroffen, obgleich die Frauen doch Anweisung hatten, überall in der Stadt nach ihm Ausschau zu halten. Gut möglich, daß er an den strengbewachten Mauern gescheitert war. Vielleicht war er auch wahnsinniger, als sie angenommen hatte.
Letztlich aber maß sie dem keine Bedeutung bei. Das Auftauchen des Erwählten war nur ein einziger Faden ihres Lügengespinstes. Die Frauen aber folgten auch so jedem ihrer Befehle.
Oana beeilte sich, zu ihrem Herrn zurückzukehren. Nur an seiner Seite konnte sie die Stadt rechtzeitig vor dem Angriff verlassen, als unauffälliges Mitglied seines Gefolges. Allein deshalb hatte der Fürst sich auf die Verhandlungen eingelassen.
Sie fragte sich, was die Weiber tun würden, wenn sie die Wahrheit erkannten - wenn nicht das Hühnerhaus durch das Tor marschierte, sondern das Heer Bethlen Gabors.
Es war eine müßige Frage, und schließlich verschwendete Oana keinen weiteren Gedanken daran. Die Hühnerfrauen würden ohnehin als erste sterben.
Lange Zeit irrte Michal durch verlassene Gassen und Straßen, streifte ziellos über öde Plätze, auf denen das Herbstlaub tanzte. Seit er die Stadt mit dem Wissen der beiden toten Söldner betreten hatte, fragte er sich immer wieder, was er eigentlich hier wollte. All die Tage, all die Wochen lang war Prag sein Ziel gewesen, doch nun, da er hier war, schien der ganze Weg umsonst und sinnlos. Nadjeschda und Modja waren tot, und er allein fühlte sich einsam und verloren inmitten dieser Häuserwüste. Auch die Sichel in seiner Hand vermochte keinen Trost zu spenden.
Gewiß, er kannte die Stadt
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