Der Schattenesser
wirst das Wasser sein. Nur das vierte Element, die Erde, werde n wir an anderer Stelle suchen. <
Sieben Tage lang bereiteten Sie sich durch Gebete auf ihr großes Vorhaben vor. Zuletzt nahmen sie ein rituelles Bad, zogen weiße Gewänder über und kamen hierher, an diesen Ort.«
Cassius verstummte für einen Augenblick und wies auf den Lehmstreifen am Ufer. »Weit nach Mitternacht, als der Himmel so schwarz war wie vor der Erschaffung unserer Welt, zündeten sie unter weiteren Gebeten eine Fackel an, steckten sie in die Erde und kneteten aus dem Lehm des Bodens die Gestalt eines Menschen. Nichts vergaßen sie, weder Mund noch Nase, weder Finger noch Augen, noch Zehen und Ohren. Alles mußte mit einem echten Menschen übereinstimmen.« Der Alte kicherte. »Nun ja, eines ließen sie freilich weg, denn der Golem sollte sich nicht aus eigener Kraft fortpflanzenkönnen.«
Sarai schenkte ihm ein höfliches Lächeln, stützte die Ellbogen auf ihre Knie, legte ihr Kinn in die Hände und hörte weiter zu.
»Schließlich also lag der Golem vor ihnen und sah aus wie ein schlafender Mann. Der Rabbi Löw befahl seinem Schwiegersohn, da dieser das Feuer symbolisierte, siebenmal um den Golem herumzugehen und dabei einen bestimmten Spruch aufzusagen, den der Rabbi ihm vorher eingeschärft hatte. Kaum hatte der junge Mann die Lehmgestalt einmal umrundet, trocknete der Körper aus, beim drittenmal wurden die Glieder des Lehmmannes warm, und nach der siebten Runde glühte er so heiß wie Schmiedeeisen. Daraufhin mußte der Schüler, der die Macht des Wassers in sich führte, ebenfalls sieben Kreise um den heißen Körper gehen und dabei eine andere magische Formel aufsagen. Nach den ersten Runden erkaltete die Gestalt, wurde wieder feucht, und schließlich wuchsen Nägel aus Fingern und Zehen, ein Haarschopf sproß aus dem Schädel und die Oberfläche des Leibeswurde zu menschlicher Haut. Von außen sah der Golem nun aus wie ein Mann in seinem dreißigsten Jahr.
Nun war es am Rabbi selbst, sieben Runden um den Golem zu gehen. Nach der letzten Umkreisung bückte Löw sich zu dem Liegenden herab, öffnete mit den Fingern dessen Lippen und schob ihm ein winziges Pergament mit einem magischen Spruch, ein Sch'ma, unter die Zunge. Die drei Männer verbeugten sich schließlich in alle vier Windrichtungen und sagten dabei: >Jahwe schuf den Menschen aus einem Erdenkloß und blies ihm lebendigen Odem ins Gesicht.<
Da fuhren Feuer, Wasser und Luft in den Golem und erweckten ihn zum Leben. Der Rabbi befahl ihm aufzustehen, und er tat es wie einer, der aus langem, schwerem Schlaf erwachte. Sie kleideten ihn in das Gewand eines Synagogendieners, dann kehrten die drei Männer an der Seite des Golems zurück in die Judenstadt, gerade als die Sonne hinter den Dächern aufging.
Unterwegs sprach der Rabbi zu seiner Schöpfung: >Du sollst nun mein Diener sein, mit mir in meinem Haus leben und meinen Befehlen gehorchen. Du wirst alles tun, was ich dir auftrage, alles, was ich wünsche, ganz gleich, wie groß die Gefahr und wie schrecklich der Schmerz sein werden.<«
Sarai blickte Cassius mit großen Augen an. »Das war grausam vom Rabbi.«
»O ja«, bestätigte Cassius, »das war es wohl, aber es war auch nötig, denn nur so konnte der Golem als Wächter gegen den Haß der Christen von Nutzen sein. So also kam das Geschöpf ins Haus des Rabbi, und niemand erfuhr, welcher Natur der schweigsame Fremde war, nicht einmal die Frau des Hausherrn. Rabbi Löw gebot ihr, den Golem keinerlei Hausarbeit verrichten zu lassen, denn er wußte, daß einem heiligen Werkzeug keine gemeinen Dienste auferlegt werden durften. Die Frau des Rabbi war einverstanden, wenn auch verwirrt, und so saß der Golem fortan in einem Winkel des Hauses, blickte schweigend ins Leere und wartete darauf, daß er von seinem Schöpfer gerufen wurde.«
»Wenn aber niemand erfahren durfte, daß der Golem ein Golem war, wie kommt es dann, daß man heute so viel über ihn weiß?« fragte Sarai.
»Es war wie mit allen Rätseln, die sich vor den Augen des Pöbels abspielen: Irgendwer plauderte nach dem Tod des Rabbi ein Wort zuviel, vielleicht der Schüler oder auch der Schwiegersohn, und bald schon glaubte jeder sich im Besitz der vollen Wahrheit. Allerlei Geschichten entstanden über den Golem, viele davon dummes Zeug, doch manche dürften wohl der Wirklichkeit nahekommen. Sicher ist, daß der Golem Nacht für Nacht durch die Straßen der Judenstadt zog und Wache hielt. So soll er manchen
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