Der Schattenesser
lief weiter. Die Kette tanzte vor seiner Brust, die Hühnerkrallen schlugen ihm ins Gesicht, er schrie vor Ekel und Schmerz und rannte doch weiter.
Unter den Bäumen kam er kurz zur Besinnung.
Warum fürchtete er sich vor ihr? War er nicht der Herr des Hühnerhauses? Hatte sie ihre Macht über ihn nicht längst verloren?
Die Bruchstücke verschmolzen zu einem umfassenden Bild. Die Baba Jaga hatte das Lager des Bethlen Gabor verschont, weil Oana die Kette besessen hatte. Nur deshalb war sein Plan nicht aufgegangen. Jetzt aber war er selbst der Meister, er war der Gebieter und Herr des Hauses. Oana besaß die Kette nicht mehr, sie gehörte nun ihm. Er hatte nichts mehr zu befürchten.
Er hätte Erleichterung spüren müssen, doch nichts dergleichen stellte sich ein. Statt dessen rannte er nun weiter, tauchte in das Dunkel des Waldes, kletterte den Hang hinauf. Die Baba Jaga würde hinter ihm bleiben, jetzt erst recht. Wo er ging, da war auch bald sie. Er stellte sich vor, wie ihr Haus durch das Tal preschte, springend, tänzelnd, alles zerquetschend.
Mit der Erkenntnis kam auch der Irrsinn wieder, die Träume, die Bilder. Er wußte längst nicht mehr, was Wirklichkeit war, er irrte jenseits davon durch die Welt, und mit ihm kam das Haus.
Sein Schweif der Vernichtung
Sein Gefährte, sein Schatten.
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KAPITEL 5
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n jenem Jahr trugen die Damen Käfer. Käfer aus Holz
und Ton, aus Messing und Kupfer, aus geschliffenem Stein und grellem Kristall. Man trug sie als Gehänge und Brosche, auf Kleidern, am Hals oder gar im Haar, bunt oder blaß. Mal getreu der Wirklichkeit, mal kunstvoll verfremdet. Ob mit langen oder kurzen Beinen, angelegten oder gespreizten Flügeln: Käfer, so befand man in den Hallen der Reichen, waren für jedes Fräulein eine Zier. Als größtes Glück aber galt den Damen ein echtes, totes Tier, das sie sich mit Hilfe langer Nadeln an den Ausschnitt steckten.
Sarai hatte sich in einem Hauseingang untergestellt und beobachtete die Parade der Käfer, die sich vor ihr über den Inneren Hof des Hradschin schob. Die Edeldamen entströmten dem Hauptportal des Veitsdoms, miterhobenen Nasen und gemäßigtem Schritt. Trotz des strömenden Regens hatten sie ihr Käfergeschmeide weithin sichtbar an Kleider und Hüte geheftet. Die Nässe peitschte in ihre Gesichter und ließ die meisten von ihnen blinzeln, auf daß sie wie blinde Glucken aneinanderstießen, sich beschimpften und die Nasen nur noch höher rümpften. Freilich, sie hätten ihre Kapuzen überwerfen oder zumindest schneller gehen können, doch solche Blößen wollten sie sich nicht geben. Der Krieg gegen den Kaiser mochte verloren sein, doch vom Wetterließ sich keine unterkriegen.
Der prächtige Veitsdom überragte die übrigen Bauten der Burg bei weitem, allein der Glockenturm stand noch unvollendet und ohne Dach da; die Kriegswirren hatten verhindert, daß er fertiggestellt wurde. Die Messen, die hier gelesen wurden, waren den hohen Damen eine Pflicht, auf die keine von ihnen verzichten wollte. Der Priester nämlich war jung und hübsch und - so behaupteten einige erfahren zu haben - ganz verrückt auf Käfer. Er habe, so wurde getuschelt, eine große Sammlung präparierter Exemplare in seiner Unterkunft, Käfer in allen Größen und Farben, und es galt als höchste Gunst, ihn in seinen Räumen zu besuchen. Allein, natürlich, und in einer lauschigen Abendstunde, zum Austausch gegenseitiger Erfahrungen - über Käfer und andere Leidenschaften.
Manche der Edeldamen hatten ihre Gatten auf dem Schlachtfeld verloren, und - Trauer hin oder her - man wollte nicht im heimischen Palais verstauben. Mochte es unschicklich sein, das schwarze Kummerkleid für einen anderen Mann zu heben, so war es doch mit dem Priester etwas anderes. Schließlich, so beruhigte man das Gewissen, war er ein Mann der Kirche, einst vielleicht ein Heiliger, und was stand einer vom Schicksal Geschlagenen eher zu als ein wenig göttliche Anteilnahme? Hatte man nicht stets den Klingelbeutel mit Münzen gefüttert, hatte man nicht Großmut wie Demut bewiesen? Jetzt, so befand man, war es an der Kirche, ihre Gaben zu erwidern.
Und der Priester gab gerne, mit Verlaub und mit Vergnügen.
Sarai stellte voller Erstaunen fest, daß der Krieg vor den Burgtoren haltgemacht hatte. Sicher, die Königsfamilie war geflohen, ihr Besitz geplündert und fortgeschleppt, doch seither herrschte Ruhe auf dem Hradschin. Maximilian von Bayern, des Kaisers Statthalter, residierte
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