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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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sprießen begonnen hatten. Er bewunderte all das zerbrechliche, helle Grün und erfreute sich an dem matten Glanz der alten Pflastersteine. In den breiten Fugen hatten sich zaghaft ein paar Gänseblümchen angesiedelt, ein paar dünne Grasbüschel und lauter hauchzarte Pflänzchen mit winzigen, leuchtenden Blüten.
    »Der Bussard ist tot«, sagte er.
    Merle sah ihn verständnislos an, doch Jette begriff sofort und wurde blass. »Wie ist er … ich meine …«
    Tilo hätte ihr die Antwort gern erspart, aber das war unmöglich. Wenn sie es schon erfahren musste, dann von ihm. Er schilderte wahrheitsgetreu, wie er den Vogel vorgefunden hatte.
    »So ein mieses Schwein!« Merle sprang auf und fuchtelte hilflos mit den Händen in der Luft herum, in der die ersten Mücken tanzten. »Ein unschuldiges Tier abzuschlachten!«
    »Was bezweckt er damit?«, fragte Jette leise.
    »Ich denke, es war eine ausdrucksvolle Demonstration seiner Wut darüber, dass er nicht an sein Opfer herankommt.« Tilo hatte instinktiv vermieden, Imkes Namen zu nennen oder  deine Mutter zu sagen. Es war für Jette leichter auszuhalten, wenn sie die Angelegenheit behandelten wie einen abstrakten Sachverhalt.
    »Nur das? Wut?«
    »Nein. Wahrscheinlich nicht.« Es war unmöglich, Jette zu belügen. Sie hatte die Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu sehen. »Es könnte ebenso gut der Versuch sein, das … Opfer hierherzulocken.«
    »Wir dürfen es ihr nicht erzählen«, sagte Jette. »Bitte, Tilo, versprich mir das!«
    Genau das hatte Tilo sich auch schon überlegt. Forschend schaute er Jette an und erkannte, dass ihre Gedanken in dieselbe Richtung gingen.
    »Sie wird automatisch glauben, durch den Tod des Bussards wäre ich in Gefahr«, erklärte sie.
    »Und wenn das stimmt?« Merle sank auf ihren Stuhl. »Wenn er sich jetzt an dich ranmacht? Denk an mein Fahrrad.«
    Tilo wurde hellhörig. »Dein Fahrrad?«
    »Jemand hat mir die Reifen zersäbelt. Und mich verfolgt.«
    »Hast du ihn gesehen? Kannst du ihn beschreiben?« Tilo saß mit einem Mal kerzengerade. »Hast du den Kommissar informiert?«
    »Es ist ja erst gestern Abend passiert. Und ich hab auch nichts gesehen.«
    »Ruf ihn an«, sagte Tilo. »Am besten sofort.«
    In diesem Augenblick klingelte Merles Handy. »Claudio«, sagte sie, und eine freudige Röte überzog ihr Gesicht.
    Tilo blickte ihr hinterher, als sie sich ins Haus zurückzog, um in Ruhe zu telefonieren. »Und zu deiner Mutter kein Wort«, versprach er Jette. »Abgemacht.«
     
    Bert hatte sich noch einmal die Akten früherer Stalkingfälle vorgenommen. Er hatte sich so in die Lektüre vertieft, dass er seine Umgebung darüber völlig vergessen hatte. Als er endlich wieder aufschaute, registrierte er überrascht, dass es schon gegen Abend ging.
    Er reckte sich, gähnte und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er hatte sich selbst einen Tag gestohlen. Keinen Schritt war er weitergekommen. Er hätte sich das alles sparen können.
    Als das Telefon klingelte, griff er frustriert nach dem Hörer.
    »Entschuldigen Sie vielmals«, hörte er Tilo Baumgarts Stimme. »Da bitte ich Sie um Ihren Rückruf und dann nehme ich nur mein Notfallhandy mit und lasse das private zu Hause liegen.«
    Bert hatte tatsächlich mehrmals versucht, ihn zu erreichen. Er ließ sich seinen Ärger jedoch nicht anmerken. »Was kann ich für Sie tun?«
    Keine zehn Minuten später war er unterwegs. Die Straßen waren noch voller Menschen. Nicht mehr lange, und die Läden würden auch sonntags geöffnet haben. Und irgendwann, dachte Bert, wird es kein Wochenende mehr geben. Dann rennen endgültig alle der Zeit hinterher, bis ihnen die Zunge zum Hals raushängt.
    Er atmete tiefer, als die ersten Wiesen auftauchten. Traktoren brummten auf den Feldern. Die ersten Saisonarbeiter waren mit den Vorbereitungen für die spätere Ernte beschäftigt. Die kilometerweit gespannten Folien, die im Sonnenlicht geglitzert hatten wie frisch gefallener Schnee, waren verschwunden.
    Dutzende von Fahrrädern parkten am Straßenrand. Zur Erntezeit würden es Hunderte sein. Bert dachte an den ersten Fall zurück, der ihn hierhergeführt hatte. Er hätte sich gewünscht, nie wieder in dieser Gegend ermitteln zu müssen, vor allem nicht im Zusammenhang mit Imke Thalheim und ihrer Familie.
    Tilo Baumgart erwartete ihn bereits vorm Haus. Bert stieg aus und versuchte ein Lächeln. Das Wort Nebenbuhler kam ihm in den Sinn. Es war so stark und altertümlich und so voller Sinnlichkeit,

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