Der Schattengaenger
Außerdem - er lächelte bei dem Gedanken -, außerdem war sie eine wohlhabende Frau. Es würde ihnen an nichts mangeln. Zusammen würden sie die Welt erkunden. Und irgendwo schließlich den Ort finden, der ihnen beiden ein Zuhause sein könnte.
Vielleicht Schweden, dachte er. Oder auch der Süden, wenn es dir da besser gefällt. Er würde großzügig sein und verständnisvoll. Er würde es wirklich versuchen.
»Liebste, du.«
Manuel strich sich über die Stirn. Er wollte der Wut nicht erlauben, wieder von ihm Besitz zu ergreifen. Komm zurück, dachte er. Wenn du jetzt zurückkommst, dann werde ich dich nicht bestrafen. Obwohl du … Komm zurück, Liebes, und alles ist gut.
Bert saß nachdenklich an seinem Schreibtisch und begutachtete die Pinnwand, die er auf den neuesten Stand gebracht hatte. Er spürte dieses Kribbeln im Magen, das sich jedes Mal meldete, wenn die Ermittlungsarbeit einen Schritt vorangegangen war. Meistens handelte es sich dabei um Kleinigkeiten, die sich erst in der Summe als Erfolge zeigten.
Die Befragungen waren abgeschlossen. Inzwischen hatten sie sich über die Presse an die Öffentlichkeit gewandt und eine Flut an Hinweisen war über sie hinweggeschwappt. Jemand hatte beim Ausführen seines Hundes auf den Feldern einen Mann beobachtet, der einen Gegenstand vergraben habe. Ein anderer war einer Bande Jugendlicher begegnet. Wie sie mich angeguckt haben - und ich glaube, an ihren T-Shirts klebte Blut.
Regina Bergerhausen war von zahlreichen Zeugen gesehen worden, sogar zu Zeiten, als sie längst tot gewesen war. Ihre Spur führte im Zickzack durch die Bundesrepublik und verlor sich irgendwo an der Ostsee.
So spielte es sich immer ab. Die Leute logen, übertrieben, machten sich wichtig, und manchmal vermischten sie ganz einfach Wirklichkeit und Vorstellung, ohne es zu merken.
Einem Zeugen jedoch war zur Tatzeit ein parkender Wagen im Wald bei der Mühle aufgefallen. Dummerweise war ausgerechnet dieser Zeuge ein Radfahrer aus Überzeugung, der sich keinen Deut für Autos interessierte. Er hatte sich weder die Marke gemerkt noch die Farbe noch irgendeine Besonderheit.
»Dunkel«, hatte er sich vage geäußert. »Und irgendwie vornehm.«
Doch Bert hatte oft genug erfahren, dass Erinnerungen mit der Zeit an Kontur gewannen. Man durfte die Leute nur nicht bedrängen. Seufzend wandte er sich wieder seinem Computer zu.
Isa hatte ihm einige Psychogramme auf den Rechner geschickt, die sie bei ihren Recherchen ausgegraben hatte. Und hier ein paar psychologische Leckerbissen aus der Welt des Stalkings, hatte sie in einem Anflug von Galgenhumor dazugeschrieben. Diese Täter haben für Furore gesorgt. Lies, und du wirst verstehen, warum.
Nach zwei Stunden wusste Bert, dass er sich nicht länger einreden konnte, ein Stalker gebe sich in der Regel (es gab keine Regel) damit zufrieden, seinem Opfer Angst einzujagen. Manche waren ausgesprochen erfinderisch, wenn es darum ging, ihrem Opfer eine Lektion zu erteilen, weil es ihre Liebe nicht erwiderte.
Und die schlimmste Lektion, die höchste Strafe war der Tod.
Bert schaltete den Computer aus, schnappte sich seine Jacke und stürmte aus dem Büro.
Er musste sich bewegen, brauchte Luft. Ihm war schlecht wie lange nicht mehr.
Wieder hatte Imke sich eine neue Unterkunft gesucht. Allmählich erschien ihr altes Leben ihr wie eine Erinnerung. Die Tatsache, dass sie inzwischen mitten im neuen Roman steckte, erleichterte es ihr nicht, aus dem Koffer zu leben und der einsamste Mensch auf Erden zu sein. Sie schrieb, las, machte lange Spaziergänge und redete mit keiner Menschenseele, außer ab und zu mit den Wirtsleuten.
Alles kam ihr sonderbar vor, auch sie selbst. An manchen Tagen studierte sie im Spiegel ihr Gesicht wie das einer Frau, die sie früher einmal gekannt hatte.
Die Zimmer in den Pensionen und Hotels waren alle gleich. Bett, Schrank, Tisch, Stuhl, Sessel, Fernseher. Und in einer der Schubladen eine Bibel, Billigausgabe, eigens für Hotelbetriebe angefertigt. In keiner schien jemals geblättert worden zu sein.
Ihr augenblickliches Zimmer hatte eine kleine Kochzeile, wofür Imke dankbar war. Sie setzte Wasser auf, nahm einen Teebeutel aus der Verpackung, ließ ihn in die hässliche Tasse fallen und sah aus dem Fenster, während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte. Der Blick ging auf einen kleinen gepflasterten Platz hinaus, der im Schatten weiß blühender Kastanienbäume lag. Zwei alte Männer saßen auf einer der beiden
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