Der Schattengaenger
dass Bert nicht anders konnte, als ihn so zu betrachten, den anderen Mann.
Er hatte Bert die Chance seines Lebens vereitelt.
Bert hatte das Bedürfnis, ihm eine reinzuhauen. Er hätte sich liebend gern auf ihn gestürzt und ihn mit sich zu Boden gerissen. Der Wunsch, Tilo Baumgart ein Veilchen zu verpassen, wurde fast übermächtig.
Sein Gruß fiel entsprechend frostig aus.
»Tut mir leid, wenn ich Sie in Ihrem Wochenende gestört habe«, entschuldigte sich Tilo Baumgart, »aber Sie haben mich darum gebeten, Sie über sonderbare Zwischenfälle jederzeit zu informieren.«
»Schon gut«, knurrte Bert und folgte ihm in die Scheune.
Nie zuvor hatte er einen Raubvogel aus solcher Nähe gesehen. Die enorme Größe überraschte ihn. Er streifte Handschuhe über, um das Tier nach Spuren von Gewalt zu untersuchen. Sie waren unübersehbar. Die Brust des Bussards war regelrecht zerfetzt, das Genick gebrochen.
»Der Vogel hatte eine besondere Bedeutung für Imke«, sagte Tilo Baumgart. »Wenn sie ihn einige Tage lang nicht sah, war sie zutiefst beunruhigt. Dann erwartete sie jedes Mal eine Katastrophe.«
Wie selbstverständlich er ihren Vornamen benutzte. Und Bert mit der Demonstration seiner Nähe zu ihr in seine Schranken verwies.
Tilo Baumgart betrachtete das tote Tier mit einem Ausdruck echten Schmerzes auf dem Gesicht, und Bert erinnerte sich widerwillig daran, dass dieser Mann ihm eigentlich von Grund auf sympathisch war.
Nachdem Bert das Tier behutsam zu seinem Wagen getragen und in den Kofferraum gebettet hatte, wies Tilo Baumgart auf die erleuchteten Fenster der Mühle. »Möchten Sie mir beim Abendessen Gesellschaft leisten?«
Warum nicht? Bert hatte einiges wiedergutzumachen. »Gern«, sagte er und meinte das ganz aufrichtig.
Tilo Baumgart legte ein zweites Gedeck auf. Es gab Brot und Käse und dazu einen viel zu starken schwarzen Tee. »Hat Merle Sie erreicht?«, fragte er.
»Nein.« Bert war sofort alarmiert. »Warum?«
»Jemand hat ihr gestern die Fahrradreifen zerschnitten.«
»Jemand?«
»Sie hat ihn nicht gesehen.«
»Wo ist das passiert?«
»Sie hatte das Rad vor einem Supermarkt in der Nähe des Tierheims abgestellt.«
»In der Gegend ist so was an der Tagesordnung.«
»Merle glaubt aber, dass jemand sie anschließend verfolgt hat.«
»Weiß sie es oder glaubt sie es?«
»Sie sagt, sie hat es gespürt.«
Bert nahm solche Gefühle ernst. In diesem Fall schlug sein Instinkt laut Alarm. »Ich werde mich darum kümmern«, versprach er. »Und, Herr Baumgart, bitte wirken Sie auf die Mädchen ein, dass sie diesmal die Finger von dem Fall lassen. Die Polizei ist durchaus in der Lage, allein mit ihrer Arbeit fertig zu werden.«
»Weiß die Polizei auch, was der Stalker als Nächstes tun wird?« Tilo Baumgart goss ihnen Tee ein und hielt Bert mit einem leicht ironischen Lächeln den Brotkorb hin.
Bert bediente sich. »Sollten Sie als Psychologe die Antwort nicht eher kennen als ich?«, konterte er.
Alles an Tilo Baumgart wirkte auf einmal schwer und niedergedrückt. Im Licht der Küchenlampe nahm Bert die dunklen Bartstoppeln wahr, die verrieten, dass der Alltag dieses Mannes aus den Fugen zu geraten drohte.
»Er gibt sich mit bloßen Drohungen nicht mehr zufrieden«, sagte Tilo Baumgart. »Er versucht, Imke zur Rückkehr zu zwingen. Das hier war erst der Anfang.« Flehend sah er Bert ins Gesicht. »Korrigieren Sie mich, wenn Sie das anders beurteilen.«
Bert wich seinem Blick nicht aus. Er presste die Lippen zusammen und schüttelte langsam den Kopf.
Manuel versuchte, sich mit Lesen zu beruhigen. Diese Begegnung hatte ihm alles abverlangt. Er war nicht darauf gefasst gewesen. Es hatte ihn umgehauen.
Das Schicksal hielt oft die bizarrsten Überraschungen bereit. Denn dass es das Schicksal war, das über das Leben der Menschen bestimmte, davon war er überzeugt. Schon aus diesem Grund hielt er an seiner Liebe fest.
Imke Thalheim war ihm vom Schicksal gesandt worden. Ihre Wege hatten sich nicht zufällig gekreuzt.
»Du bist für mich geboren worden«, murmelte Manuel.
Die Vorstellung berauschte ihn. Er beugte sich wieder über das Buch. All diese Worte hatte sie, wenn man den Gedankengang zu Ende verfolgte, für ihn geschrieben. Er war Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens. Sie wusste es bloß noch nicht.
»Ich werde es dir schon beibringen«, versprach er ihr. Und sich selbst. »Hab noch ein klein bisschen Geduld.«
Sobald der Händler meinen neuen Wagen angemeldet hätte, würde
Weitere Kostenlose Bücher