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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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dann sind wir nicht nur im Haus, sondern auch in unserer Angst gefangen.«
    »Richtig.« Merle hatte zu den Worten ihrer Freundin genickt. »Wir haben zu oft Angst gehabt. Irgendwann muss Schluss sein damit.«
    Hätte Bert die beiden nicht längst ins Herz geschlossen, dann hätte er es in diesem Augenblick getan, Merle mit ihrer schnoddrigen, unverblümten Art und die zurückhaltende, immer ein wenig kühl wirkende Jette, in deren Gesten er manchmal schemenhaft die Mutter erkannte. Er würde nicht zulassen, dass ihnen etwas zustieße.
    »Nachts wird ab jetzt jemand da sein und das Haus im Auge behalten«, hatte er ihnen mitgeteilt. »Sie können also ganz entspannt und unbekümmert schlafen.«
    »Sieht er gut aus, unser Beschützer?«, hatte Merle gefragt und ihm zugezwinkert.
    Er hatte ihr nicht den Gefallen getan, mit einem Scherz zu antworten. »Keine Alleingänge«, hatte er ihnen ernst ins Gewissen geredet. »Versprechen Sie mir das.«
    Beide hatten gleichzeitig die Finger zum Schwur gehoben und waren darüber in Gelächter ausgebrochen. Vielleicht war es ihre Tapferkeit, die Bert davon abhielt, Erleichterung zu empfinden. Er traute ihnen nicht, sosehr sie auch Zurückhaltung gelobten.
    »Und zu meiner Mutter kein Wort«, bat Jette.
    Das allerdings war ganz in Berts Sinn.
     
    Das mit den Blumen wäre nicht nötig gewesen, aber es hatte ihm Spaß gemacht. Er hatte lange genug gelitten und sich gesehnt. Imke hatte sich lange genug geziert. Es war an der Zeit, die Verhältnisse zu klären.
    Um keinen Argwohn zu erregen, ging Manuel weiterhin seiner Arbeit nach. Er schraubte, hämmerte, schweißte und polierte und hörte sich dabei das Geschwätz der andern an, die mit ihrem kleinen, unbedeutenden Leben zufrieden waren und unablässig ihre kleinen, unbedeutenden Gedanken produzierten, die für keinen interessant waren, am wenigsten für sie selbst.
    Bei einer seiner nächtlichen Inspektionen hatte er den Bullen entdeckt. Manuel hatte leise geflucht. Er war nicht scharf auf Komplikationen. Der Beamte hatte in einem unauffälligen alten Saab gesessen, ein paar Schritte vom Haus der Mädchen entfernt. Als er sich eine Zigarette angezündet hatte, war für einen Augenblick der Lichtschein über sein Gesicht geflackert und hatte es aus der kompakten Dunkelheit hervorgehoben wie das ausgezehrte, bleiche Gesicht eines Vampirs.
    Die Situation war Manuel vorgekommen wie eine Filmszene. Als säße er vor einer Leinwand und sähe sich selbst und dem Bullen beim Katz-und-Maus-Spielen zu.
    Sie waren ihm auf der Spur.
    Aber sie wussten nichts. Sollten sie das Haus ruhig beobachten, dachte Manuel. Sollten sie ihre lächerlichen Fallen stellen. Sie würden sich an ihm die Zähne ausbeißen. Er würde sich nicht aufhalten lassen. Er wartete nur noch auf den richtigen Moment.
     
    Dieser Roman verwischte die Grenzen. So etwas war Imke noch nie passiert. Zwar hatten ihre Figuren schon häufiger ein Eigenleben entwickelt, das sie nur mit Mühe kontrollieren konnte, doch letztlich hatte sie die Fäden in der Hand behalten, und sie war es gewesen, die den Lauf der Handlung bestimmt hatte.
    Vor allem hatte sie jederzeit unterscheiden können zwischen Realität und Fiktion.
    Mittlerweile hatte sie manchmal den Eindruck, jemand würde ihr den Text diktieren. Jemand, der sich in ihrem Kopf eingenistet hatte und in ihren Gefühlen, der jede Nuance ihrer Empfindungen wahrnahm und prompt darauf reagierte.
    Sie hatte sich immer von ihrem Unterbewusstsein leiten lassen, hatte sich oft staunend gefragt, woher sie die Sätze nahm, die vor ihr auf dem Monitor erschienen wie die Gedanken eines andern. Manchmal stolperte sie bei Lesungen über Worte, die sie geschrieben haben musste, an die sie sich jedoch überhaupt nicht erinnern konnte.
    Doch das hier stellte alles in den Schatten. Dieses Buch war auf eine Weise wirklich, die sie zutiefst verstörte. Die Figuren kamen ihr viel zu nah. Sie waren Teil ihrer selbst, vertrauter beinah als die Frau, die sie beim Blick in den Spiegel sah.
    Vielleicht waren sie die Wirklichkeit, während die Welt nur Einbildung war.
    Einsamkeit machte krank. Und sonderlich. Das hatte Imke schon immer gewusst. Isolation war eine teuflische Folter. Man konnte die stärksten Menschen zerbrechen wie ein Streichholz. Man brauchte sie nur von ihrem Leben abzutrennen.
    Wieder einmal wanderte sie durch die Gegend, allein, denn sie blieb nie lange genug irgendwo, um Bekanntschaften schließen zu können. Sie hatte ihre

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