Der Schattengaenger
Statussymbol fehlte, wäre einige Zeit vergangen. Doch dann hatte Manuel sich anders entschieden. Er hatte offiziell um Urlaub gebeten.
»Für wie lange?«, hatte Alex gefragt.
Er war nicht gerade erfreut gewesen, als Manuel ihm mitgeteilt hatte, er wolle seinen gesamten Jahresurlaub und den Resturlaub vom Vorjahr an einem Stück nehmen. »Ich könnte den Hai gut gebrauchen«, hatte Manuel hinzugefügt.
»Bisschen viel auf einmal«, hatte Alex geknurrt und ihn aus schmalen Raubtieraugen betrachtet. »Was hast du vor?«
»Weltreise.« Manuel hatte den abwägenden Blick ruhig zurückgegeben. »Kennst mich doch.«
Unter seinen Kollegen galt er als Abenteurer, dem man keine Fesseln anlegen durfte, wenn man ihn halten wollte. Sie alle wunderten sich ohnehin darüber, dass er schon so lange bei der Stange geblieben war.
»Ab wann?«
»Kurzfristig«, hatte Manuel gesagt und sich zum Gehen gewandt. »Ich geb dir Bescheid.«
Alex hatte seine Bedingungen widerspruchslos akzeptiert, wie immer. Letztlich war sein ganzes Imponiergehabe nichts als ein Kartenhaus, das beim leisesten Luftzug in sich zusammenfiel. Er hätte alles getan, um seinen besten Arbeiter nicht zu verlieren.
Am nächsten Tag hatte Manuel mit den Planungen begonnen.
Das Mädchen würde nicht freiwillig an Bord kommen und auch nicht freiwillig dort bleiben. Es würde schwierig werden, sie in Schach zu halten. Manuel konnte schließlich nicht überall sein, nicht seine Geisel bewachen und gleichzeitig das Steuer bedienen. Er entwarf alle möglichen Szenarien und legte sich für jede einen Plan zurecht. Nichts sollte ihn überraschen und aus der Bahn werfen können. Er wollte in jeder Hinsicht gewappnet sein.
Mehr und mehr nahm sein Vorhaben Gestalt an.
Bevor Manuel abends einschlief, küsste er sein Lieblingsfoto, das er von Imke besaß. Sie stand darauf gegen eine Mauer gelehnt und sah ihn lächelnd an. Als hätte er selbst die Aufnahme gemacht. Ihre Augen luden ihn ein und versprachen ihm, was er nur wollte.
»Alles will ich«, flüsterte er. »Alles.«
Als ich das Haus verlassen wollte, wäre ich fast über den Blumenstrauß gestolpert, der vor der Tür lag. Wiesenblumen und Gräser, die Stängel mit grünem Seidenband umwickelt. Ich hob ihn auf und sah mich um.
Niemand da. Nur die üblichen Geräusche. Das gewohnte Bild.
Merle schlief noch. Sie musste erst gegen Mittag ins Tierheim. Es war spät geworden gestern Abend. Sie war mit Claudio aus gewesen, endlich wieder einmal. Vielleicht kapierte er allmählich, was er an Merle hatte.
Ich steckte die Nase in den duftenden Strauß und fühlte die Gräser weich auf der Haut. Dann ging ich noch einmal in die Küche zurück, gab die Blumen in eine Vase und stellte sie mitten auf den Tisch.
Wunderschön.
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Frau Stein duldete keine Verspätungen und mir war nicht nach einem Vortrag über Pflicht und Zuverlässigkeit. In der nächsten Minute saß ich im Auto und brauste los.
Dieser Wagen war ein Traum. Er sprang gleich beim ersten Mal an, der Motor lief ruhig und gleichmäßig und ging an Ampeln nicht aus. Nichts klapperte, nichts klemmte, und er beschleunigte sogar an Steigungen. Er brachte mich sicher von A nach B.
Über mein Headset rief ich Luke an. Er meldete sich erst beim sechsten Klingeln und hörte sich ziemlich verschlafen an. »Ja?«
»Danke, Luke.«
»Wieso? Wofür? Wie spät ist es eigentlich?«
Er spielte den Ahnungslosen wirklich überzeugend. Ich musste lachen. »Schon gut. Du sollst nur wissen, dass ich mich über die schönen Blumen freue.«
Ich beendete das Gespräch und konzentrierte mich auf den Verkehr. Die Fahrt lief wie geschmiert. Fast alle Ampeln standen auf Grün. Ich fing an zu singen.
Wie schnell ein paar Blumen dich schwach werden lassen.
Ich sang lauter, um die nervende Stimme in meinem Kopf zu übertönen. Durfte man sich, um stark zu bleiben, nicht mal freuen?
Und ehe du es richtig mitkriegst, hat er dich um den Finger gewickelt.
Aber so war Luke nicht, so berechnend und kalt. Mein Rückzug hatte ihn bestürzt und verletzt. War eine so liebevolle Geste da nicht umso großmütiger?
Du biegst dir die Wirklichkeit zurecht, wie du sie haben willst.
Mit sieben Minuten Verspätung bog ich auf den Parkplatz ein. Als ich meinen Wagen abgestellt hatte, läutete mein Handy.
Es war Luke.
»Du, ich bin furchtbar in Eile, Luke.«
»Ich will dich auch nicht lange stören, aber eins sollst du wissen: Ich habe deine Entscheidung
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