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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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zärtlich die Spuren von Tilos Anwesenheit. Er hatte das Frühstücksgeschirr nicht in die Spülmaschine geräumt, der Esszimmertisch war kaum noch zu erkennen unter all den Zeitungen und Büchern, und auf dem Sofa und den Sesseln lagen achtlos hingeworfene Kleidungsstücke.
    Imke ließ Wasser in die Badewanne laufen, legte sich Buch, Brille und Telefon zurecht und ließ sich glücklich ins heiße Wasser sinken. Niemand würde sie jemals wieder von hier vertreiben, was immer auch geschehen mochte.
     

Kapitel 27
    Niemand zu sehen. So hatte er sich das erhofft. Der See lag grau und ohne erkennbare Konturen vor ihnen. Es regnete wieder. Dicke Tropfen rissen die Oberfläche auf. Es roch nach brackigem Wasser, als hätte der stürmische Wind das Unterste zuoberst gekehrt.
    Manuel hatte dem Mädchen scheinbar locker den Arm um die Schultern gelegt, dirigierte sie jedoch mit eisernem Griff über den Steg. Er hatte ihr die Kapuze abgenommen, ebenso den Knebel und die Fesseln, für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand sie beobachten sollte. Aber er kannte die Leute hier. Es waren Schönwettersegler, wie er sie für sich nannte. Bei der kleinsten Eintrübung blieben sie zu Hause.
    Trotzdem. Man konnte nie wissen. Es war geschickt, den Eindruck zu erwecken, sie seien ein Paar. Manuel hatte das Mädchen gezwungen, die Sonnenbrille aufzusetzen, die er in ihrem Rucksack gefunden hatte. Die großen Gläser verdeckten fast ihr Gesicht, das vom Regen glänzte.
    »Lehn den Kopf an meine Schulter!«, befahl er.
    Sie gehorchte nicht, und er drückte sie mit solcher Kraft an sich, dass ihr die Luft wegblieb und sie einen ächzenden Schmerzenslaut von sich gab.
    »Zwing mich nicht, dir richtig wehzutun«, zischte er, die Lippen an ihrer Schläfe, als flüstere er ihr Liebkosungen zu.
    Sie bog den Kopf weg.
    Er blieb stehen und hielt sie wie in einer Umarmung. Mit  der linken Hand hatte er ihren Hinterkopf gepackt (der sich trocken anfühlte, also blutete er nicht mehr) und zwang sie, ihn anzusehen. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, doch nach wenigen Sekunden gab sie auf.
    »Ich habe nichts zu verlieren«, flüsterte er. »Also tu, was ich dir sage.«
    Er spürte, wie ihr Widerstand erschlaffte. Seine Hände glitten über ihren Körper. Fürs Familienalbum, dachte er spöttisch und behielt aus den Augenwinkeln die Boote im Blick, die nebeneinander im schaukelnden Wasser lagen. Aber er entdeckte niemanden.
    Das Mädchen fühlte sich gut an.
    Imke.
    Er hielt sich an ihrem Namen fest.
    »Komm jetzt!«
    Er hatte ihr wieder den Arm um die Schultern gelegt und zog sie weiter. Die Planken des Stegs waren nass und glatt. Er musste sich höllisch konzentrieren, um nicht auszurutschen.
    Und um sich nicht ablenken zu lassen.
    Denn bei jedem Schritt fühlte er, wie der Körper des Mädchens sich warm und weich an seiner Seite rieb.
     
    Ich hatte also tatsächlich eine Möwe gehört. Sie hockten auf dem Zaun und auf den Dächern der Boote oder tippelten in ihrem eigentümlich schaukelnden Gang über den Steg. Viel mehr konnte ich durch die nassen, dunklen Gläser der Brille nicht erkennen. Nur ab und zu gelang es mir, einen kurzen Blick über ihren Rand werfen.
    Manuels Nähe war kaum zu ertragen. Seine Finger bohrten sich mir ins Fleisch. Er ließ mir kaum Raum, mich zu bewegen, geschweige denn, mich loszureißen.
    War es wirklich denkbar, dass ein zufälliger Beobachter uns  für ein Liebespaar halten würde? Denn das versuchte er vorzuspielen.
    Keine Frage. Ich wusste, dass man ihm die Rolle abnehmen würde. Den Leuten reichte das Bild, das sie vor sich sahen. Ein junger Mann und ein junges Mädchen. Eng umschlungen. Verliebt.
    Es ist nicht, was ihr denkt! Macht doch die Augen auf!
    Dabei war ohnehin keiner in der Nähe. Man konnte förmlich spüren, wie verlassen die Boote waren.
    Manuel gab mir einen Stoß, und ich stolperte an Deck und fiel auf einen der weißen Sitze, die dafür gedacht waren, dass man hier saß und das Leben genoss, Sonnenstrahlen auf dem Gesicht, das Plätschern des Wassers im Ohr, ein Buch auf den Knien.
    Der Sitz war aus Kunststoff. Er war kalt und unbequem. Bevor ich mich regen konnte, war Manuel neben mir. Er packte mich und schob mich drei, vier Stufen hinunter. Unter Deck. Dort stieß er mich in eine winzige Kabine, die mich an einen Campingwagen erinnerte. Es gab hier nur einen kleinen, runden Tisch, eine Sitzbank und einen Einbauschrank. Die Möbel waren fest im Boden verschraubt. Die Bank konnte

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