Der Schattengaenger
entschieden, sich Ärger zu ersparen. »Kommen Sie ins Büro. Ich lasse Ihnen die Unterlagen raussuchen.«
Na also, dachte Bert. Geht doch. Er hatte keine Lust auf einen Hahnenkampf gehabt. Auch wenn er ihn todsicher gewonnen hätte, er hätte ihn nur wertvolle Zeit gekostet.
Manuel hatte lange über das Prozedere nachgedacht. Bis zum Moment der Übergabe durfte keine Panne passieren, dann war er auf der sicheren Seite. Wenn Imke erst an Bord wäre, würde sie erkennen, wie groß und mächtig seine Liebe war. Eine Liebe, die keine Hindernisse kannte, die sich nicht von Imkes Ruhm blenden ließ und nicht an dem Vorurteil zerbrach, dass eine Schriftstellerin und ein Arbeiter nicht zusammenpassten.
Die Anlegestelle hatte er mit Bedacht ausgewählt. Kaum jemand kannte sie, so zugewuchert war sie von Schilf und allerlei wildem Gesträuch. Der ideale Ort, um Imke aufzunehmen und Jette abzusetzen.
Die besten Lösungen waren immer die einfachen.
Ein bisschen ärgerte es ihn, dass er darauf verzichten musste, dem Mädchen den nötigen Respekt beizubringen, aber man konnte nicht alles haben.
Es war niemand sonst auf dem Wasser. Der Wetterbericht hatte weitere Unwetter angekündigt. Und wenn schon. Manuel hatte in seinem Leben ganz andere Schwierigkeiten gemeistert. Dagegen war so ein Sturm ein Klacks.
Manuel warf den Kopf in den Nacken. Er schaute hinaus auf das Wasser. Nicht mehr lange. Er rieb sich die Gänsehaut von den Armen und lächelte.
Einer fehlte. Manuel Grafen. Ellen gab den Namen nur widerwillig preis. Bert spürte, dass etwas sie mit diesem Mann verband, etwas, von dem niemand etwas wusste, vielleicht nicht einmal dieser Manuel Grafen selbst.
Er habe Urlaub genommen, erklärte Ellen, und den Resturlaub vom letzten Jahr dazu. Niemand wisse, ob er ihn wirklich ausschöpfen werde. Er sei ein Abenteurer. Einer, der komme und gehe, wie es ihm passe.
Auch von seinem Chef war er so beschrieben worden. Offenbar durfte Manuel Grafen sich hier alles leisten.
»Ich möchte seine Wohnung sehen«, sagte Bert, nachdem er erfahren hatte, dass Grafen direkt über der Werkstatt wohnte.
»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
Sie kannte sich mit Fernsehkrimis aus. »Nein. Ich setze auf Ihre Vernunft. Sollte Herr Grafen das Mädchen in seine Gewalt gebracht haben, würden wir ihn gern daran hindern, Schlimmeres zu tun.«
Sie kämpfte mit sich, eine dieser Frauen, denen man jede Gefühlsregung vom Gesicht ablesen konnte. Ihr Hals war rot und fleckig vor Aufregung. Sie räusperte sich in einem fort. Schließlich sprang sie auf und lief zur Tür. Nach einem suchenden Blick über den Hof drehte sie sich zu Bert um.
»Der Chef ist schon zu seinem Termin aufgebrochen. Sein Wagen ist weg.«
Bert schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. Ein wenig Druck konnte nicht schaden.
Ellen setzte sich an ihren Schreibtisch und griff zum Telefon. Sie drückte eine Taste und hob den Hörer ans Ohr. Wartete.
»Besetzt!« Unschlüssig nagte sie an der Unterlippe.
»Also?«, fragte Bert.
Sie atmete tief durch und griff nach dem Schlüsselbund, der neben dem Faxgerät lag.
Bert folgte ihr die Treppe hinauf. Der Geruch nach säuerlichem Schweiß stieg ihm in die Nase. Er war so scharf und intensiv, dass er das schwere Parfüm fast überdeckte. Bert wusste, was der Grund dafür war - Ellen hatte Angst.
Er registrierte das aufmerksam. Dann betrat er Manuel Grafens Wohnung.
Tilo hatte die restlichen beiden Termine abgesagt. Er konnte sich so schlecht konzentrieren, dass er bei seinem letzten Patienten den Faden verloren hatte. Nachdem der Mann eine Viertelstunde lang geredet hatte, war Tilo bewusst geworden, dass kein Wort zu ihm durchgedrungen war.
Er hatte Imkes Handynummer gewählt. Danach Merles. Und immer wieder die von Jette. Ohne Erfolg. Imke und Merle nahmen das Gespräch nicht an, Jette war zurzeit leider nicht erreichbar. Tilo hatte es Dutzende Male versucht, bevor er aufgegeben und sich aufs Warten verlegt hatte. Er war in die Mühle gefahren, doch dort hatten sich seine Befürchtungen nur bestätigt.
Es war vollkommen klar, dass Imke sich auf den Tausch eingelassen hatte. Es war auch klar, dass Merle als Vermittlerin fungiert hatte. Die Polizistin und ihr Kollege waren wieder abgezogen. Sie hatten keine Unordnung hinterlassen. Es war schrecklich still.
Tilo hatte sich im Wintergarten eingerichtet, seinem Lieblingsraum in diesem Haus. Er hatte sein Handy und das mobile Festnetztelefon vor sich auf den Tisch
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