Der Schattengaenger
gefunden hatten.
»Der Täter hat das Mädchen also auf dem Weg zum St. Marien in seine Gewalt gebracht und sie in ihrem eigenen Fahrzeug entführt«, schlussfolgerte er.
Die Kollegen hatten sich alle im Besprechungsraum eingefunden. Angespannt saßen sie da. Der Freude über den ersten Fahndungserfolg war die Ernüchterung gefolgt. Jette Weingärtner befand sich in einer äußerst kritischen Lage, die jederzeit eskalieren konnte.
»Niemand hat einen Kampf beobachtet«, wandte der Chef ein. »Weder unterwegs, noch auf dem Parkplatz des Heims.«
»Vielleicht hat ja auch gar kein Kampf stattgefunden«, sagte Isa. »Das Mädchen könnte den Täter gekannt haben.«
»Durchaus möglich«, bestätigte Bert. »Wir haben jede Menge Fingerabdrücke im Innern des Fahrzeugs sichergestellt. Da uns jedoch Vergleichsmaterial fehlt, sind sie für den Augenblick nutzlos. Am Lenkrad ließen sich drei unterschiedliche Fingerabdrücke finden. Bisher wurde der Wagen von Jette Weingärtner und ihrer Freundin Merle gefahren, was mich in der Vermutung bestätigt, dass möglicherweise der Täter am Steuer saß. Das würde bedeuten, dass Jette nicht freiwillig mit ihm unterwegs war.«
»Oder dass sie ihm erlaubt hat zu fahren, falls sie ihn kannte«, beharrte Isa.
»Und sonst?«, fragte der Chef.
Das Bonbon hatte Bert sich bis zum Schluss aufbewahrt.
»Auf der Fußmatte vor dem Fahrersitz befand sich ein haselnussgroßer Fleck, bestehend aus einer Art Maschinenöl, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer Schuhsohle dort hinterlassen wurde.«
Er war dankbar für die fantastischen Verbindungen, die er sich mit den Jahren aufgebaut hatte. Ein freundschaftlicher Anruf, und das Labor legte einen deutlichen Zacken zu, um ihm einen Gefallen zu tun. Den Chef ließ man gern ein paar Tage auf Ergebnisse warten.
»Und?«, fragte der Chef.
Die Kollegen tauschten vielsagende Blicke. Jeder von ihnen hatte allein im kleinen Finger mehr ermittlungstechnisches Talent, als der Chef jemals besitzen würde.
»Sollte dieser Fleck von der Schuhsohle des Täters stammen, wäre das ein Hinweis auf das Umfeld, in dem wir den Täter suchen müssen.«
»Und wenn er von der Sohle des Mädchens stammt?«
»Dann«, sagte Bert und schob seine Unterlagen zusammen, »haben wir ganz schlechte Karten. Und Jette Weingärtner auch.«
Er verließ den Besprechungsraum, um herauszufinden, wie hoch er mit seinen Karten pokern konnte.
Manuel hatte geduscht und die Kleider gewechselt, aber der Geruch der Suppe war noch immer in seiner Nase. Dieses Mädchen! Er verabscheute es aus tiefster Seele.
Mach das nie wieder!
Er checkte ein letztes Mal sämtliche Geräte, bloß um sich auf andere Gedanken zu bringen. Dabei wusste er genau, dass alles in Ordnung war. Er sah auf die Uhr. Wie langsam die Zeiger dahinkrochen.
Noch ein paar Minuten, dann würde er anrufen.
Als Merle den Wagen kommen hörte, blieb sie stehen und hob den Daumen, doch der Fahrer rauschte an ihr vorbei.
»Das ist ein Notfall!«, brüllte Merle hinter ihm her.
Sie war wütend und verzweifelt. Imke Thalheim hatte den Wagen genommen und das Handy, so wie der Typ es bei seinem Anruf gefordert hatte. Ebenfalls nach seinen Anweisungen hatte sie Merle an der Landstraße zurückgelassen.
Merle hatte sie angefleht, ihr zu erlauben, sich hinten im Wagen zu verstecken, doch Imke Thalheim hatte sich nicht erweichen lassen.
»Ich werde dich nicht in Gefahr bringen«, hatte sie gesagt. »Er hat verlangt, dass ich allein zu ihm komme.«
Dann war sie losgefahren, ohne Merle ihr Ziel zu verraten.
Merle sehnte einen Wagen herbei, der anhalten würde, um sie mitzunehmen, doch sie sah nichts als die leere Straße vor sich, endlos und still. Sie fluchte. Sie betete. Sie rannte. Und dann fing sie an zu weinen.
Imke hielt sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen, obwohl sie am liebsten gerast wäre. Sie durfte auf keinen Fall eine Polizeistreife auf sich aufmerksam machen.
»Komm allein«, hatte der Mann verlangt. Etwas in Imke erinnerte sich vage.
Diesmal hatte er seine Stimme nicht verstellt. Imke ahnte, was das bedeutete. Er hatte nicht vor, sie wieder gehen zu lassen.
Doch das war ihr gleichgültig. Hauptsache, er tat Jette nichts an.
»Geht es ihr gut?«, hatte sie gefragt.
Seine Antwort war ein Lachen gewesen, das ihr kalt über die Haut gekrochen war.
Ab und zu schaute sie auf den Zettel, den sie neben sich auf den Beifahrersitz gelegt hatte. Nach den Angaben des
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