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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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meine Sachen zu holen. Weil ich mich spontan dazu entschlossen hatte, es heute zu tun, hatte ich Tilo nicht eigens vorher Bescheid gesagt. Ich wollte ihm eine Nachricht auf dem Küchentisch hinterlassen und am Abend kurz mit ihm telefonieren.
    Auf der Fahrt hatte mein Renault wieder seine Mucken. Er beschleunigte nicht richtig, ruckelte und zuckelte und wurde an Steigungen so langsam, dass er beinah stehen blieb.
    »Komm, mein Alter«, schmeichelte ich. »Lass mich nicht hängen.«
    Der Auspuff röhrte, der Motor dröhnte, das Radio knisterte und rauschte. Keine Frage, mein Wagen lag endgültig in den letzten Zügen. Ich würde nicht darum herumkommen, mich nach einem Nachfolger umzuschauen.
    Auch wenn ich schon länger darauf vorbereitet war, traten mir die Tränen in die Augen. Dieses Auto war mehr als ein Fahrzeug. Es hatte mich nie im Stich gelassen, mich überall hingefahren und war immer für mich da gewesen. Ich kam mir schäbig vor bei dem Gedanken, es einem brutalen Schlächter von Schrotthändler auszuliefern.
    Ich drehte die Musik lauter, obwohl mein Trommelfell kurz vor der Explosion stand, und sang mit, um mich abzulenken. Nicht nur mein todgeweihter Wagen war der Grund dafür - es fiel mir noch immer schwer, zwischen den Erdbeerfeldern hindurchzufahren, die rechts und links die Straße säumten. Monatelang hatten die Erinnerungen mich damals verfolgt. Ich hatte geglaubt, mich niemals wieder verlieben zu können.
    Doch dann war mir Luke begegnet.
    Die Angst, ihn wieder zu verlieren, die bodenlose Panik bei der Vorstellung, von ihm verletzt zu werden, quälten mich nicht mehr so sehr, und in manchen Momenten träumte ich davon, mich irgendwann wieder fallen lassen zu können.
    Ich richtete den Blick fest auf die Straße. Umso deutlicher nahm ich die weiten, ebenen Flächen wahr, die schon bepflanzt waren und auf denen die ersten Saisonarbeiter sich bewegten.
    Er konnte nicht unter ihnen sein. Es war unmöglich.
    Sie trugen Regenjacken.
    Hatte es im Sommer meiner ersten großen Liebe jemals Regen gegeben? Er war ungewöhnlich heiß gewesen. Lang, heiß und gefährlich.
    Ich hatte ihn überlebt.
    Im Nieselregen sah die Mühle streng und einschüchternd aus. Ich hatte einmal gelesen, dass es in alten Pfarrhäusern und Mühlen am häufigsten spuken sollte. Vielleicht hatte ich deswegen im Haus meiner Mutter oft das Gefühl, als schaute mir jemand über die Schulter. Und vielleicht richteten sich deshalb auch jetzt die Härchen an meinen Armen auf.
    Nach der letzten Wegbiegung entdeckte ich Frau Bergerhausens Fahrrad vor der Scheune und fühlte die Erleichterung in einer raschen Welle durch meinen Körper laufen. Wie gut, dass sie da war. Ich parkte meinen Wagen nah beim Eingang, um nicht zu nass zu werden, und lief zur Tür.
    Um Frau Bergerhausen, die nicht auf mein Erscheinen gefasst war, nicht zu erschrecken, klingelte ich, bevor ich den Schlüssel ins Schloss steckte und die Halle betrat.
    »Hallo! Frau Bergerhausen! Ich bin’s, Jette!«
    Sie antwortete nicht. Wahrscheinlich war sie oben in einem der Zimmer und hatte die Ohren auf Durchzug gestellt.
    Ich ging in die Küche. Ihre Einkaufstasche stand auf der Arbeitsplatte, daneben eine ihrer Plastikboxen, wahrscheinlich bis zum Rand gefüllt mit Suppe, Eintopf oder einem typisch Bergerhausener Fleischgericht. Sie liebte es, Tilo zu umsorgen, wenn meine Mutter unterwegs war.
    Die Tür vom Putzschrank war einen Spaltbreit offen. Die beiden grünen Lämpchen an der Espressomaschine leuchteten. Es duftete nach frischem Kaffee. Die Tasse auf dem Tisch wirkte, als wäre sie erst vor ein paar Minuten ausgetrunken worden.
    Im Gästebad waren die Fußmatten aufgerollt. Ein Putztuch und ein Schwamm lagen im Waschbecken. Neben der Dusche stand ein Eimer mit Wischwasser, in dem ein Aufnehmer schwamm. Der Schrubber lehnte an der Wand.
    Auf dem Weg zum Wintergarten wurde mir plötzlich mulmig.
    »Frau Bergerhausen?«
    Sie hätte doch meinen Wagen hören müssen. Der Auspuff machte wirklich einen Höllenlärm.
    »Hallo? Frau Bergerhausen?«
    Etwas warnte mich davor, weiter nach ihr zu rufen. Es riet mir, still zu sein.
    Sie war auch nicht im Wintergarten.
    Auf Zehenspitzen ging ich umher und spähte in jeden Raum. Dann stieg ich so geräuschlos wie möglich die Treppe hoch.
    Auch oben fand ich sie nicht. Offenbar war sie noch nicht so weit gekommen, sonst hätte sie den Staubsauger nicht am  Fuß der Treppe abgestellt, was sie immer dann tat, wenn sie unten mit dem

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