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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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die Objekte und stellte fest, dass sie sich nicht so ungewöhnlich anfühlten wie sie aussahen. Thanos sah wohlwollend zu und gab so manchen stolzen Kommentar von sich.
    Der Raum besaß fünf Ecken. Eine Wand schien die linke hintere Ecke schräg einzudrücken. Sie verlief bogenförmig und erst nach kurzem Nachdenken kam Levin darauf, dass es sich um ein Stück des Hauptturmes handelte.
    »Der Turm befindet sich genau zwischen dem Labor und der Meskanhalle. Durch die Tür dort gelangst du in die Halle.«
    »Und was ist hinter dieser Tür?«, fragte Levin und deutete auf die breite Holztür, die in den Turm hineinführte.
    Thanos zögerte. Dann sagte er: »Das ist mein Gemach.«
    Sie schauten sich eine Weile an und redeten kein Wort. Alles, was Levin in diesem Raum überwältigt hatte, rückte in den Hintergrund. Er sah im hellen Licht das Gesicht des Grafen. Er sah ihn . Jede Einzelheit konnte er erkennen, die einzelnen weißen Strähnen im Haar, einen braunen Hautfleck unterm Ohr, ein Gerstenkorn am rechten Lid und die spröde gewordene Unterlippe. Auf dem Handrücken hatte Thanos viele blasse Härchen, die sich teilweise ringelten. Levin konzentrierte sich auf diese Kleinigkeiten und machte sich bewusst, dass sie schon vor dreihundert Jahren genauso ausgesehen hatten. Kurz darauf stellte er mit Schrecken fest, dass Thanos ihn ebenfalls musterte. Seine Augen waren nicht von Levin gewichen und ergründeten unermüdlich sein Gesicht.
    »Weißt du, was deinen Gesichtsausdruck so gewinnend macht? Es ist das Verhältnis zwischen Kinn, Mund und Nase. Würdest du eine Linie ziehen und sie mit Punkten markieren, wären die beiden oberen Punkte deutlich näher beisammen. Das hebt den Teil deines Gesichtes hervor, der besonders ausdrucksstark ist. Damit fällt es dir leicht, die Aufmerksamkeit eines Menschen zu gewinnen.«
    Levin wandte seinen Blick instinktiv zu den beiden Tischen in der Mitte des Raumes und sagte nur: »Ach ja? Das ist interessant.« In Wirklichkeit hatte er angefangen sich zu fragen, was er hier eigentlich tat. Zum ersten Mal verspürte er das Verlangen, den Palast zu verlassen und in einer ruhigen Ecke nachzudenken, wie er an die nötigen Informationen kommen würde. Thanos hatte ihm mehr gezeigt, als er sich hätte wünschen können. Doch zugleich war alles, was Levin eigentlich von ihm wissen wollte, in einen noch dichteren Schleier gehüllt worden. Gab es nun diese Kontaktleute, mit denen er eine Verschwörung vorbereitete? Wann und wo traf er sie, wenn alles in diesem Haus so offen war? Er hatte das Gefühl, dass er mit jedem Schritt, den er weiterkam, tiefer im Sumpf des Ungewissen versank. Ahnte Thanos etwa schon, was er vorhatte? Führte er ihn an der Nase herum? Wenn er das tat, konnte sein Ziel nur darin liegen, Levin auszuhorchen und ihn dann, wenn er genug erfahren hatte, zur Strecke zu bringen. Das würde sein seltsames Verhalten erklären, dachte er sich.
    Das würde aber auch bedeuten, dass Levin umso gefährdeter war, je weiter er vordrang.
    Schau, dass du hier rauskommst! , war das Ergebnis seiner Überlegungen. Mach dir zu Hause einen guten Plan und erwische den Kerl im richtigen Moment.
    Jetzt schaute Levin den Grafen wieder selbstsicher an; dieser hatte den Blick noch immer nicht von ihm abgewandt.
    »Nun gut. Es war mir eine große Ehre, deine Gemächer kennenzulernen.«
    Thanos ignorierte Levins Aufbruchgeste. »Weißt du, weshalb ich sie dir gezeigt habe?«
    »Wenn du es mir verrätst?«
    »Wer das Vertrauen eines Menschen sucht, sollte zuerst bereit sein, sein eigenes zu geben.« Er bewegte sich zu einem der Tische und wies auf die Ansammlung von Reagenzgläsern, Karaffen und Instrumenten. »Hier verbringe ich die meiste Zeit. Hier tue ich das, was ich für das Wichtigste halte. Ich wollte, dass du es siehst.«
    »Wieso wolltest du das?« Levin schaute hilflos drein.
    »Es ist nicht so, dass es niemanden gibt, dem ich diese Dinge jemals gezeigt habe. Aber ich kenne doch nur sehr wenige Menschen, die sich die Zeit für so etwas nehmen.«
    »Aber all die Menschen auf Briangard …«
    »Es sind gute Menschen. Gewiss. Sie verehren mich. Aber sie sind unfähig, mit mir zu reden. Sie brauchen mich als den unerreichbaren Herrscher, dem sie huldigen können. Alles andere verstehen sie nicht.«
    »Dann ist das ganze Zeremoniell auf dem Hof also ein einziges Theater.«
    »Sag so etwas nicht!« Thanos’ Gesicht nahm einen Ausdruck an, der sehr an seinen vorherigen Wutausbruch erinnerte. »Es

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