Der Schattensucher (German Edition)
ist ehrlich und redlich. Die Menschen auf Briangard bringen mir den Respekt entgegen, den du leider vermissen lässt. Aber ich kann es dir nicht verübeln, du bist ein Alsuner und warst dein Leben lang darauf bedacht, dein eigener Herr zu sein. Du wirst noch lernen, dass es auch eine andere Seite gibt.«
»Das werde … ich … lernen …?«
»Ja, das musst du lernen. Du glaubst, das Leben völlig im Griff zu haben und eigentlich zerrinnt es dir in den Händen. Wenn hier jemand spielt, dann bist du es. Du machst dir dein eigenes Schauspiel.«
»Das sehe ich anders«, unterbrach ihn Levin. »Du magst hier der große, weise Herrscher sein. Du magst viele Menschen unter deiner Gewalt haben. Aber mein Leben hast du noch lange nicht und du wirst es auch nicht bekommen.« Er wandte sich ab, ging zur Tür und fragte sich im selben Moment, ob das ein kluger Abgang war.
»Verzeih«, sagte Thanos ruhig. »Das wollte ich auch nicht behaupten. Du kannst natürlich tun und lassen, was du willst. Ich habe noch nie einen Menschen zu etwas gezwungen. Also entscheide dich: Geh wieder nach Hause oder bleibe hier und arbeite für die Palastwache.«
Levin blieb stehen.
Ein Teufel ist er. Palastwache. Das ist noch mehr, als ich mir hätte erträumen können. Ich würde den ganzen Tag hier sein und könnte das Gebäude untersuchen. Und es ist zugleich der nächste Schritt in seine Fänge. Mitten hinein ins Unheil. Also gut. Er drehte sich um und lächelte den Grafen an. »Meinst du das ernst?«
20. Kapitel
Mit der Uniform der inneren Wache mochte Levin sich nicht recht anfreunden. Eng lag der Stoff auf seiner Haut und brachte ihn schnell zum Schwitzen. Doch das war nicht sein größtes Problem. Die Zeit seiner ungezwungenen Gespräche auf dem Vorhof war nun vorbei. Wenn er auch nur in die Nähe eines Untergebenen kam, schlug ihm augenblicklich eine Welle von Unterwürfigkeit und Schüchternheit entgegen. Überall kannte man Linus, den Auserwählten des Erbauers. Das brachte ihm zwar einige Vorteile – was er brauchte, bekam er problemlos –, jedoch war es kaum mehr möglich, unbemerkt Nachforschungen auf der Festung anzustellen. Selbst wenn er nach Dienstablösung in unscheinbaren Kleidern durch den Hof schlich, wurde seine Gegenwart wahrgenommen. Sogar der dicke Torhüter grüßte ihn mit einem schweigenden Nicken und vorsichtigem Blick.
Man hatte Levin und Elena ein eigenes Häuschen direkt neben der Kaserne eingerichtet. Es lag zwar noch im Vorhof, aber Levin brauchte nur die Passage im Erdgeschoss der Kaserne zu durchqueren, um in den Innenhof zu gelangen. Dann ging er über den Hintereingang in den Palast und ließ sich von Norman, dem Hauptmann, oder dessen Vertreter Anweisungen geben. Jeder Tag verlief anders. Mal musste er eine ganze Schicht lang im Garten patrouillieren, mal vom siebten Stockwerk aus die Eingangshalle beobachten, ein anderes Mal hütete er das Tor zum Vorhof. Norman begrüßte ihn morgens immer freundlich, stand von seinem Schreibtisch auf und rückte ihm die Uniform zurecht. Dann holte er ihm das Schwert und die Armbrust aus der Waffenkammer. »Denke daran: Die Waffen sind dein unwichtigstes Instrument. Viel wichtiger sind deine Augen und deine Ohren. Ein Wächter des Palastes zeichnet sich dadurch aus, dass man ihn zwar bemerkt, er aber nicht auffällt; dass ihm nichts entgeht, er aber keinen beunruhigt. Die Männer, die hier arbeiten, sind die besten auf Briangard. Einige von ihnen sind vom Erbauer persönlich ausgewählt worden. Das sind nicht die Raubeinigen wie draußen im Vorhof. Hier haben wir scharfe Beobachter, die nachdenken und stets im Voraus wissen, was ein Gegner tut. Wir bewegen uns geschickt, kennen jeden Winkel des Gebäudes und darum kann uns niemand entgehen.
Der Erbauer muss diese Fähigkeit in dir erkannt haben, sonst hätte er dich nicht ausgesucht. Du bist der erste Alsuner hier. Darauf kannst du stolz sein.«
Norman zeigte ihm die verborgenen Winkel in der Eingangshalle, die Levin bei seinem ersten Besuch nie wahrgenommen hätte. Fast in jedem Raum des Palastes gab es Nischen oder Ecken, in denen er sich platzieren konnte, ohne dass man ihn bemerkte. Zu keinem Zeitpunkt war ein Besucher unbeobachtet, selbst wenn er sich allein glaubte. Nur zu den persönlichen Gemächern des Grafen sagte Norman nichts.
Levin genoss seine Dienstzeiten, besonders die Nachtwachen. Zwölf Stunden hatte er zu arbeiten, doch er entspannte sich dabei weitaus mehr als draußen im Vorhof. Die Männer
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