Der Schattensucher (German Edition)

dämmrige Treppe führte abwärts, sie mussten sich am hellen Ende und an den immer lauteren Geräuschen orientieren. Wenig später standen sie am Rand einer wuchtigen Halle, die durch lange schmale Fenster erhellt wurde. Das schlichte Mauerwerk und der Steinboden unterschieden sich auffallend vom Palast. Wie Norman schon verraten hatte, war der Raum gefüllt von Reihen runder Metallkübel, vor denen muskulöse Männer mit schmutzigen Gesichtern arbeiteten. In der Mitte erhob sich ein Schmelzofen, der regelmäßig ein ohrenbetäubendes Zischen von sich gab.
    Sie gingen weiter und kamen an eine Holzbrücke. Vor ihnen erstreckte sich inmitten der Halle ein Graben und Levin musste sich vorbeugen, um zu erkennen, dass dort unten ein Fluss war. Thanos erklärte ihm, dass es sich um die Stilla handelte, die unter der Meskanhalle hindurchfloss. Nicht weit von ihnen schöpfte man mit einer Winde und großen Behältern das Wasser ab, das in Briangard benötigt wurde.
    Thanos führte ihn über die Brücke zum Ende der Halle, das zum großen Teil offen war und ins Freie führte. An Seilsträngen wurden steinbeladene Wagen in die Halle gezogen und abgeladen.
    »Hier draußen ist der kleine Vorhof«, erklärte Thanos. »Du hast ihn noch nie gesehen, weil er von allen anderen Teilen der Festung abgeschottet ist. Die meisten Minenarbeiter leben hier. Nach einigen Metern geht es steil ins Gebirge hinauf. Über diesen Pfad gelangen sie zu den Meskanminen. Sie klopfen das Mineral aus dem Fels und laden es in die Holzwagen. Mit dem Seil werden die Wagen hinauf- und hinunterbewegt. Da drüben werden die Steinbrocken zerkleinert und schließlich in den Ofen geworfen. Das flüssige Metall läuft in die Kübel und wird unterschiedlich weiterverarbeitet. Das meiste ist Rohmetall, das wir lagern und in andere Städte von Baldurien verkaufen. Ohne dieses Metall wäre Alsuna nie entstanden.«
    »Was kann man mit dem Metall sonst noch anfangen?«, fragte Levin, der bislang nichts Neues gehört hatte.
    »Komm mit.« Thanos führte ihn ins Freie hinaus. Um sie herum waren einfache Hütten und unmittelbar vor ihnen erhob sich das Bergmassiv. Es erstaunte ihn, dass die vorübergehenden Menschen nicht mehr als einen freundlichen Gruß für den Erbauer übrighatten. Thanos erklärte, dass er öfter hier sei und es doch sehr umständlich wäre, wenn sie sich ständig verbeugten.
    Sie gingen in ein kleines Steinhaus neben der Halle, das einen offenen Eingang hatte. Levin empfand es als angenehm, dass es hier etwas ruhiger war.
    »Also schön, mein guter Linus. Du bist in der Tat noch höchst ahnungslos.« Thanos führte ihn zu einer Reihe von Behältern, in denen sich unterschiedliche Flüssigkeiten befanden. »Hier habe ich damals angefangen, vor dreihundert Jahren. Noch immer ist es ein besonderes Gefühl.« Er griff nach einem Fläschchen mit einer hellen gelben Flüssigkeit und schüttete etwas davon in einen Behälter mit noch dampfendem Zinn. »Ich habe damals entdeckt, dass es nicht schwer ist, das Meskan in unterschiedliche Zustände zu versetzen. Für die meisten Menschen ist Meskan nichts anderes als ein besonders stabiles Metall. Sie holen das Erz aus den Minen, schmelzen das Meskan heraus und mischen es mit anderen Metallen. So wird es vermutlich auch in der Meskanhalle in Alsuna unten gemacht. Nur wenige haben verstanden, was Meskan wirklich ist. Hast du gesehen, was ich eben getan habe?«
    Levin runzelte die Stirn und schaute in den Behälter hinein. Es hatte kurz aufgezischt, die heiße Zinnflüssigkeit hatte eine bräunliche Färbung angenommen.
    »Was ist daran Besonderes?«
    »Noch nichts. Aber lass das Zinn einmal abkühlen, nachdem du es in eine Form gegossen hast. Dann erhältst du so etwas.« Er griff nach einem metallenen Stab, der auf dem Tisch lag, holte damit aus und schlug ihn gegen den Türrahmen. Das Metall sang einen hohen Ton, während von der Steinkante eine ganze Ecke abbröckelte. Levin schaute ungläubig auf die Stelle, wo der Stein durchgebrochen war.
    »Das ist doch eher ungewöhnlich, nicht wahr? Jahrhunderte haben diese Steine den schwersten Unwettern widerstanden und eine einfache Zinnstange kann so etwas anrichten?«
    »Wie hast du das gemacht?«
    »Das Entscheidende ist die gelbe Flüssigkeit. Es ist Meskan in einem der konzentriertesten Zustände, die man sich vorstellen kann. Aber nun kommt das Geheimnis: Es gibt kein reines Meskan. Meskan ist keine Substanz, die sich vollständig herauslösen lässt. Nenne