Der Schatz des Blutes
Verdrehung der wahren Lehren Jesu und seiner jüdischen Brüder – über diese Welt gebracht hat. Und wir werden sie verändern. Wenn das geschehen ist, werden die Menschen noch über das reden, was wir vollbracht haben, wenn unsere Namen schon längst vergessen sind …«
Er brach ab, und es herrschte tiefes Schweigen, bis er sie fragte: »Nun, was sagt ihr? Was wollt ihr tun?«
»Wir rasieren uns die Köpfe und graben.«
St. Agnans Stimme war die einzige, die das Schweigen brach, doch der Kreis nickender Köpfe stimmte ihm wortlos zu.
AUCH IN DIESER NACHT konnte Hugh nicht einschlafen. Normalerweise schlief er ein, kaum dass er sich hingelegt hatte, und er erwachte erfrischt, ganz gleich, wie kurz oder wie lange er geschlafen hatte. Wenn es sein musste, konnte er sogar im Stehen oder im Sattel einnicken.
Doch wenn es ihm nicht gelang, sofort einzuschlafen, so bedeutete dies stets, dass ihm irgendetwas Sorgen machte. Diesmal war ihm allerdings nicht bewusst, was es sein könnte. Nachdem er sich eine Weile hin- und hergewälzt hatte, warf er die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett, um einen Spaziergang an der kühlen Luft zu machen. Er warf den weiten Araberburnus über, den er wie die meisten seiner Kameraden trug, wenn er keine Rüstung brauchte, und hängte sich den Schwertgürtel über die Schulter, bevor er zur Tür ging, die auf den Hof hinausführte. Dort kratzte er sich gähnend den Kopf, und die Kühle der Wüstennacht ließ ihn sacht erschauern.
»Hugh, warum schläfst du nicht?«
Erschrocken über die unerwartete Anrede, fuhr Hugh herum und sah Payn Montdidier auf einer Bank an der Mauer sitzen. Er wurde durch den Vollmond und die flackernden Flammen einer brennenden Fackel beleuchtet.
»Payn! Hast du mir einen Schrecken eingejagt! Aber ich frage dich : Warum schläfst du nicht?«
Montdidier schüttelte den Kopf.
»Eigentlich sollte ich schlafen. Und ich gehe jetzt auch, weil ich durchgefroren bin. Ich habe nur dagesessen und nachgedacht.«
»Worüber denn?«
»Über Margaret … und Charles, meinen Sohn, und Helen, meine Tochter. Helen wird morgen acht Jahre alt. Das hatte ich ganz vergessen, bis du vorhin erwähnt hast, dass nur zwei von uns noch eine Familie daheim haben …«
Hugh wusste nicht, was er darauf antworten sollte, denn er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, welche Wirkung seine Worte auf die beiden Männer haben könnten – Montdidier und Gondemare. Doch der Schmerz in der Stimme seines Freundes war nicht zu überhören.
»Payn«, sagte er nun, bestürzt über seine eigene Gedankenlosigkeit, »verzeih mir. Ich hatte keine –«
»Das weiß ich doch, Hugh. Du hast einfach nur Tatsachen ausgesprochen. Und du hast nichts gesagt, was mich überrascht hätte. Außerdem haben Margaret und ich unser Leben zur gemeinsamen Zufriedenheit geregelt. Aber du hast mich überrumpelt, als du so unerwartet davon gesprochen hast. Als die Erinnerung dann einmal geweckt war, habe ich angefangen nachzudenken – und konnte nicht mehr aufhören.«
Er verstummte und starrte ins Leere, bevor er weitersprach.
»Mir ist klar geworden, dass meine Tochter morgen Geburtstag hat. Und dann musste ich daran denken, wie anders unser Leben verlaufen ist, als wir es uns vorgestellt haben, als wir noch jung und blauäugig waren und die Köpfe voller großartiger Ideen hatten.«
Er lächelte und sah zu Boden, dann schüttelte er den Kopf und richtete den Blick immer noch lächelnd auf Hugh.
»Weißt du noch, wie entsetzt wir waren, als wir herausgefunden haben, dass sie über uns Bescheid wussten? Als wir dachten, unsere Frauen hätten alles über den Orden herausgefunden? Das war die größte Katastrophe, die wir uns damals vorstellen konnten. Möge Gott uns gnädig sein!«
Auch Hugh lächelte.
»Ja, das war sehr dramatisch. Wir haben wirklich gedacht, wir hätten eine schreckliche Sünde begangen … uns des Vertrauens der anderen nicht würdig erwiesen und sie alle verraten.«
»Aye, damals kam es uns furchtbar vor … Heute erscheint es lächerlich.«
Hugh legte den Kopf schief. Irgendetwas im Tonfall seines Freundes ließ ihn aufhorchen.
»Lächerlich? Wieso? Diesen Eindruck hatte ich nie.«
»Nein, nicht das, nicht die Tatsache, dass sie Bescheid wussten.« Montdidier winkte mit einer Geste ab. »Ich meine all die wirklich furchtbaren Dinge, die wir später erlebt haben. Die Gräuel der Belagerung von Antiochia und Jerusalem. Wie unschuldig sind wir doch gewesen, als wir
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