Der Schatz des Blutes
sie niemand mehr kreuzen konnte. Sie gehörten der königlichen Palastwache an, und er wandte automatisch den Kopf, um zu sehen, wen sie wohl eskortierten. Doch alles, was er sah, war eine geschlossene Kutsche. Während diese näher kam und vorüberratterte, registrierte er die verhangenen Fenster und die Eskorte, die das schwerfällige Gefährt begleitete – zehn schwer bewaffnete Uniformierte vor der Kutsche und genauso viele dahinter, alle mit demselben Wappen geschmückt, einer stilisierten hellblauen Fontäne auf weißem Grund.
De Payens schluckte seine Ungeduld über die Verzögerung hinunter, denn er wusste, dass man sie nicht lange würde warten lassen. Die königlichen Wachen, die mit stoischen, den Wartenden zugewandten Gesichtern die Straße säumten, kannten diese Prozedur. Sie warteten, bis die Kutsche in ihrem Rücken vorbeigefahren war – wahrscheinlich zählten sie im Stillen die Sekunden –, dann lösten sich die Letzten von ihnen nahtlos aus der Formation und liefen nach vorn, um erneut vor der Prozession in Stellung zu gehen, während hinter ihnen die Straße wieder frei wurde für jene, die sie überqueren wollten.
St. Agnan machte keinerlei Anstalten, die Straße zu überqueren, sondern blieb stehen und sah der Kutsche nach, bis sie hinter der nächsten Kurve verschwand.
»Wer war das?«, fragte er, als sie fort war.
»Irgendein Mitglied der Königsfamilie«, sagte Hugh zu ihm. »Den geschlossenen Vorhängen nach wahrscheinlich eine der Königstöchter, am wahrscheinlichsten die Zweitälteste, Alice, da die Eskorte Bischof Odos Farben trug.«
»Wer ist Bischof Odo?«
»Der frühere Bischof von Fontainebleau, heute Sekretär des Erzbischofs und Verbindungsmann des Erzbischofs zum König.«
St. Agnan wandte sich Hugh langsam zu und fixierte ihn, während sich seine Stirn zu runzeln begann.
»Warum bringst du ihn auf Anhieb mit einer bestimmten Königstochter in Verbindung? Geht zwischen den beiden etwas vor? Wie alt ist das Mädchen denn?«
»Komm.« De Payens setzte sich in Bewegung, um die schmale Straße zu überqueren. »Alle Welt weiß, dass Bischof Odo die Prinzessin … schätzt. Aber sie ist, glaube ich, noch keine fünfzehn; er dagegen ist ungefähr in unserem Alter. Daher bezweifle ich sehr, dass ›zwischen den beiden etwas vorgeht‹, wie du es ausdrückst. Odo kennt die Prinzessin schon ihr Leben lang.«
Das Stirnrunzeln im Gesicht des kräftigen Ritters verschwand nicht.
»Schön und gut, aber sie ist ein Kind, und er … schätzt sie … so sehr, dass er ihr jederzeit eine Eskorte stellt?«
»Nun, nicht jederzeit – und nach allem, was ich höre, ist sie auch kein Kind mehr. Aber Odo ist seit Jahren einer der treuesten Berater ihres Vaters; schon seit damals, als Baldwin noch Graf von Edessa war, lange bevor er König von Jerusalem wurde. Hier entlang.«
Hugh bog nach rechts ab, wo die Mündung einer schmalen Gasse im Schatten fast verschwand. Seine Begleiter, die ihm aufmerksam zugehört hatten, folgten ihm dicht auf den Fersen, als er nun durch die Gasse und durch einen weiteren schmalen Durchgang ging, der sie auf eine breite Straße hinausführte. Sie befanden sich vor dem Haupteingang eines imposanten, streng bewachten Gebäudes.
»Der Palast des Patriarchen«, sagte er. »Bleibt in meiner Nähe.«
Er bahnte sich zielsicher seinen Weg durch den Verkehr auf der lauten Straße und schlängelte sich zwischen Massen von Kamelen, Pferden, Rindern, Schweinen, Ziegen und einer bunten, vielsprachigen Menschenmenge hindurch. Dann stellte er sich der Wache am Haupteingang vor. Nachdem man ihn wohl als einen Mann identifiziert hatte, der keine Bedrohung für den Erzbischof darstellte, führte man ihn und seine Begleiter in ein weiträumiges, luxuriöses Gemach, wo man sie bat zu warten, bis der Patriarch Zeit für sie hatte.
Sie kamen kaum dazu, die Schätze des Zimmers zu betrachten oder sich gar zu langweilen, da der Patriarch nicht lange auf sich warten ließ. Er war allein und begrüßte de Payens herzlich, bevor er sich an seine Freunde wandte und sie ebenso warm willkommen hieß. Da seine Besucher ausnahmslos Soldaten waren, die mit dem gesellschaftlichen Protokoll nicht vertraut waren, unterhielten sie sich eine Weile über Belanglosigkeiten. Sobald sie dann alle saßen, kam de Payens ohne Umschweife auf den Grund ihres Besuchs zu sprechen und sprach die Bitte aus, die er sich zurechtgelegt hatte. Sobald der Erzbischof begriff, worum es ging, war er ganz Ohr und
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